Der Erbe Dschainas
gefressen habe.‹
›Oh, bitte friss mich nicht! Ich bin ein gottesfürchtiges Kind!‹«
Die Frau blickte kurz das Kind auf ihrem Knie an; es starrte mit großen, faszinierten Augen auf das Bild von dem Ding im Bett.
»Ich erkenne hier allmählich ein Schema«, sagte die Frau.
»›Untergrund‹ ist ein in mehrfacher Hinsicht irreführender Begriff«, erklärte Fethan, während sie ans der Flötengrasebene auf trockeneren Grund weiterstapften, der bedeckt war mit Moosen, wildem Rhabarber und schwarzem Wegerich. »Er deutet eine einzelne, geheime Widerstandsbewegung an, obwohl die meisten Menschen dort nur überleben … und nicht die Theokratie stürzen möchten. Man könnte sich auch dazu verleiten lassen und denken, der Begriff hätte nichts mit ›Grund‹ und ›unter‹ zu tun, wo er doch in Wirklichkeit von diesen Worten nicht zu trennen ist.« Fethan deutete mit einem Finger auf den Boden. »Unter uns reicht eine Schicht aus lockerer und stark mit organischen Stoffen durchsetzter Erde etwa zehn Meter tief – das Produkt von Millionen von Jahren, in denen hier Trikonusse gegraben und gefressen haben. Darunter folgt eine Kreideschicht von über fünfzig Metern Dicke – erzeugt durch Trikonus-Schalen, die durch die Erdschicht absinken, sich langsam ansammeln und verdichten.« Fethan blieb stehen und deutete auf eine Bewegung im feuchten Boden, die die großen lila Rhabarberblätter erschütterte, sodass scheibenförmige Mollusken von ihren Unterseiten herabfielen wie ein Regen aus Silbermünzen. Eine Wölbung entstand in der Erde, und kurz durchbrach das stachelige Ende eines Trikonus die Oberfläche, ehe er wieder abtauchte. »Fleißige kleine Erdmacher sind das. Die Menschen hier könnten ein Vermögen verdienen, wenn sie Trikonusse mitsamt der Begleitökologie zu Terraformungsprojekten der Polis exportierten. Natürlich wird das nie geschehen, solange die Theokratie an der Macht ist.«
»Du hattest vom Untergrund gesprochen«, erinnerte ihn Eldene – ob teilweise Maschine oder nicht, Fethan hatte eine Neigung zu faseln.
»Oh yeah.« Fethan sah sich um und nahm Kurs auf eine Stelle, wo der Boden hinter weiterem Flötengras anstieg. »Unter der Kreide haben wir Schichten von Kalkstein – wahrscheinlich das, was die fernen Vorfahren des Trikonus erzeugt haben, mit Einschließungen von Basalt und Obsidian und anderen vulkanischen Gesteinen. Weißt du, die Geologie dieser Welt ist faszinierend.«
»Der Untergrund!«, erinnerte ihn Eldene.
»Yeah, na ja, die Wasserströmungen dieser Landmasse sind auch faszinierend. Während das Wasser in die Erde sickert, trägt es den Kalkstein ab und erzeugt Höhlen und unterirdische Flüsse, bis es schließlich eine Tiefe erreicht, wo es von geothermischer Energie aufgeheizt und in Form heißer Quellen wieder ausgestoßen wird, etwa tausendfünfhundert Kilometer von hier. Dort unten findet man Höhlensysteme von Tausenden Kilometern Länge, manche so groß wie Weltraumhabitate – Platz für ganze Städte, falls man sie dort errichten wollte. Das ist der Untergrund, und dorthin sind in den letzten paar Jahrhunderten eure Leute geflohen, wenn sie sich der Theokratie entziehen wollten.«
Durch diese zweite Fläche voller Flötengras erreichten sie schließlich höheres Gelände, bedeckt mit Blasenmoos und gelegentlichen Trikonus-Schalen, blau gefärbt von Algen. Eldene überlegte, ob sie fragen sollte, was Basalt und Obsidian waren und wie groß genau ein Weltraumhabitat war, aber der Skole zitterte jetzt an ihrem Körper, und sie selbst atmete schwerer; die Luft schmeckte wie Eisen in ihrem Mund. Sie erreichten eine Böschung, die sie erstiegen, um sich dort oben umzusehen. Rechts von ihnen steckte ein Bagger schief in der Erde, die Fenster zerbrochen und die ganze Außenfläche von Rost verfärbt. Vor ihnen erstreckte sich eine Baumreihe hinter der anderen – niedrige, verdrehte schwarze Bäume mit gelben Blättern, behängt mit knotenartigen grünen Früchten. Diese Bäume ragten aus einer dichten Vegetation auf, so grün, dass es in Eldenes Augen schmerzte.
»Traubenbäume«, sagte Fethan.
Eldene wusste bereits, was Traubenbäume waren: jene seltsamen Pflanzen, aus deren faustgroßen Früchten der Wein für die Theokratie hergestellt wurde. Sie hatte Bilder davon auf den Etiketten kleiner dicker Flaschen gesehen, und einmal hatte sie auch von dem Wein gekostet, den ein Freund aus dem städtischen Waisenhaus gestohlen hatte. So deutete sie jetzt auf die
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