Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
führen. Womit er schon wieder bei den ganz und gar nicht ungefährlichen Gesprächsthemen angelangt wäre.
Nein, besser, er beließ es bei seinem Schweigen und brachte zu Ende, was er begonnen hatte. Sie würde noch früh genug davon erfahren.
„Du kommst wie gerufen, Brüderchen. Gerade kam eine Einladung für uns alle ins Hause geflattert, den vierten Advent in Tirol zu feiern.“
„ In Tirol? Ich bin froh, endlich zu Hause zu sein, das kannst du mir wirklich glauben, und habe absolut kein Verlangen, mich so schnell wieder von hier wegzubewegen. Meinen Glückwunsch übrigens zu deinem Zweiten. Warst du nicht überzeugt davon, es würde ein Mädchen werden? Man sollte sich wohl doch besser nicht auf Gefühle verlassen“, meinte er mit verächtlichem Ton. „Breandán – Mönch oder Seefahrer?“
„ Ich hoffe doch, weder noch. Hast du ihn dir schon angesehen? Was meinst du?“
„ Mmmh, bisschen zerknittert vielleicht, aber es ist alles dran, was er braucht, um ein richtiger Mann zu werden. Ein Prachtbursche. Na ja, bei diesem Vater ist wohl nichts anderes zu erwarten gewesen.“
„Das meine ich aber auch.“ Damien boxte Manuel freundschaftlich zwischen die Rippen. „Dann kann ich bloß hoffen, dass dein Nachwuchs nach Alicia gerät, ansonsten Gnade uns Gott.“
Manuel drehte sich abrupt um , warf seinen Koffer auf das Bett und machte sich mit vollkommen unnötigem Eifer ans Auspacken.
Damien musterte seinen Bruder mit nachdenklicher Miene. „Hast du jetzt alles in Deutschland erledigt?“
„Alles.“
Trotz der knappen Antwort richtete sich Damien auf ein längeres Gespräch ein, lehnte sich an eine Kommode, die Arme verschränkt, einen Fuß hinter den anderen gelegt, und beobachtete Manuel beim Aufräumen. „Du möchtest mir nicht zufällig davon erzählen?“
„ Warum nicht? Interessierst du dich für die Details, die in der Verhandlung vor dem Seeamt zur Sprache kamen?“
Die gewohnte Arroganz blitzte in seinen Augen auf, als er seinem Bruder einen flüchtigen Blick zuwarf. Dann ließ er sich auf dem Bettrand nieder und strich in Gedanken über ein weißes Hemd, auf dem Damien die Schulterstücke des Technischen Offiziers erkannte.
„ Aufgrund mangelhafter Navigation“, zitierte Manuel aus der Erinnerung, „die in der unzureichenden Ausnutzung der an Bord befindlichen nautischen Geräte begründet war, kam der Motortanker ‚Charley’ vom vorher bestimmten Kurs ab. Die Nichtberücksichtigung von Wind, Strom und der tatsächlichen Schiffsgeschwindigkeit führte auf einer Entfernung von eintausendeinhundert Seemeilen zu einer Versetzung des Tankers in Vorausrichtung um sechzig Meilen und nach Osten um dreißig Meilen.“
Er schaute kurz auf, wie um sich Damiens Aufmerksamkeit zu versichern. „Menschliches Versagen der Nautiker also“, übersetzte er für die Landratte. „Daran gibt es nichts zu deuteln. Einer verließ sich auf den anderen, keiner wollte dem anderen auf die Füße treten, indem er irgendwelche Zweifel äußerte. Die Kerle hätten nur das Maul aufmachen und miteinander reden müssen, dann wären sie darauf gekommen, dass unser Kurs direkt auf die Riffe der Inseln Chaussee de Sein führte. Und das bei Sturm und hohem Seegang. Die Wachhabenden bemerkten nicht die Leuchtfeuer von Ar Men und Ile de Sein , die da eigentlich gar nicht hätten sein dürfen, weil sie sich in jener Nacht mit Schreibarbeiten beschäftigten.“
„Tausendeinhundert Seemeilen. Hört sich ziemlich viel an. Wie lange brauch t ein Schiff, um diese Strecke zurückzulegen?“
„Ein altersschwacher Tanker wie der unsere knapp drei Tage.“
„Und in dieser Zeit kam niemandem die Idee, es könnte etwas nicht stimmen?“
„Oh doch, Zweifel an der Richtigkeit des gekoppelten Schiffsortes hatten alle drei wachhabenden Nautiker im Verlauf ihrer Wache. Sogar dem Funker ist aufgefallen, dass irgendwas faul war, und machte sich immer wieder heimlich am Funkpeiler zu schaffen. Wie sich in der Verhandlung herausstellte, war seine Standortbestimmung sogar exakt gewesen. Nur wollten das die Nautiker nicht wahrhaben, getreu dem Motto: Wenn sich schon Funker in die Navigation einmischen …“
Sein Blick richtete sich nach innen, fand noch einmal die Bilder, die während der Verhandlung aus seiner Erinnerung ans Tageslicht gezerrt worden waren – die „Charley“, der Chief Mate mit den Tagebuchseiten in der Hand. Emilia. Er hatte seinen Frieden mit ihnen gemacht.
„ Wir hatten eine schwere
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