Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
zu wollen, war ohne Frage bestenfalls mit wirklichkeitsfern zu umschreiben. Und nur wenn man freundlich war. Sinnlos und idiotisch waren andere Worte, die ihr hin und wieder einfielen. Doch es gab Ean und ihr zumindest das Gefühl, etwas zu tun, irgendetwas, selbst wenn es noch so aussichtslos erschien. Sie selber konnte nicht einfach dastehen und abwarten, bis ein Wunder geschah. Auch sie hatte Betty Jane gekannt und war ihr diesen letzten Dienst schuldig.
Nach dem Un glück war Ean den ermittelnden Verkehrspolizisten nicht von der Seite gewichen. Obwohl es gegen die Vorschriften verstieß, hatten sie sich ihm nicht in den Weg gestellt, weil alle sahen, wie er unter dem Verlust seiner Frau und seiner Söhne litt. Bis er irgendwann genauso viel wie die offiziellen Ermittler wusste. Nichts!
Der Fahrer des anderen Wagens, welcher im Übrigen ordnungsgemäß von einer integeren Geschäftsfrau mit wasserdichtem Alibi zwei Tage zuvor am anderen Ende der Insel als gestohlen gemeldet worden war, wurde genauso wenig wie das Auto selber gefunden. Niemand wurde für den Mord an Eans Familie zur Verantwortung gezogen. Niemand kam hinter Gitter, weil er Eans Leben zerstört hatte.
Jedes Mal, wenn sie in den Unterlagen blätterte, stellte sich Alicia die Person vor, die Betty Jane und die Zwillinge auf dem Gewissen hatte. Und jedes Mal drängte sich ihr die Frage auf, warum der Fahrer vom Unfallort geflüchtet war, wenn er keine Schuld gehabt hatte. Ihr fiel kein überzeugender Grund ein. Nicht einmal wenn er betrunken gewesen oder mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren war und er den Wagen tatsächlich gestohlen hatte, hätte das einen dreifachen Mord rechtfertigt. Also konnte das nur heißen, dass er es darauf angelegt hatte.
D er Straßenbelag hatte keinerlei Schleuderspuren aufgewiesen.
Weil d er andere nicht versucht hatte, auszuweichen oder zu bremsen!
Er war schnurgerade auf Betty Janes Auto zugefahren und hatte Eans Familie mit Absicht umgebracht.
Aber warum? Betty Jane war nie bedroht worden, sie hatte nicht einmal im Streit mit jemandem gelegen. Es gab keine verschmähten Liebhaber, keine neidischen Kolleginnen oder böse Nachbarn, keinen Erbschaftsstreit. Nichts! Es war nicht das kleinste Motiv zu finden, weshalb eine freundliche, hilfsbereite Frau, die jeder im Ort mochte, und zwei unschuldige, kleine Kinder sterben mussten. Es ergab einfach keinen Sinn. Was die Suche erschwerte. Kein Täter. Kein Motiv. Und schon gar keine Spur.
Also hatte sie begonnen, tiefer einzudringen und sich nicht allein mit den spärlichen, offiziellen Informationen der Polizei zufrieden zu geben. Sie wühlte in der Vergangenheit von Ean Ó Briain und Matthias Clausing, da die von Betty Jane, wie nicht anders zu erwarten, absolut sauber war, und folgerichtig war Alicia die Erste, die einen möglichen Zusammenhang zu einem Unfall von Susanne und Matthias Clausing Jahre zuvor herstellte. Parallel zu den Nachforschungen der Polizei hatte sie nach Máirtín Callaghan gesucht, der seit einem Tötungsversuch an Susanne wie vom Erdboden verschluckt schien.
Sie machte an der Stelle weiter, wo sie in der vorherigen Nacht steckengeblieben war. Máirtín Callaghan, der den Unfall von Matthias und Susanne provoziert und obendrein seine Schwester und deren ungeborenes Kind auf dem Gewissen hatte, war zuletzt in Cavan gemeldet, weshalb sie sich in der zuständigen Polizeidienststelle in Waterford umsehen wollte.
Es dauerte nicht lange und Alicia fand einen aus allen Nähten platzenden Ordner. Sie drückte eine Taste und schickte den Text vom Bildschirm direkt zu ihrem kleinen Drucker. Einmal mehr fluchte sie lautlos, weil sie sich mit diesem Provisorium begnügen musste. Wesentlich schneller wäre es natürlich gegangen, die Datei herunterzuladen, aber das Risiko, beim Downloaden entdeckt zu werden, war einfach zu groß. Obendrein bestand die Gefahr, dass sie mit diesem Befehl womöglich einen Alarm im Rechner der Polizei auslöste. Also tippte sie wieder und wieder die Taste für den Druckbefehl, sobald sie zur nächsten Seite gesprungen war. Sie nahm sich nicht die Zeit, alles durchzulesen, doch instinktiv ahnte sie, dass dieses Material von einiger Wichtigkeit war.
Z ehn Minuten. Sie musste jederzeit damit rechnen, dass der Sysadmin das System überprüfte, deshalb machte sie widerstrebend Schluss und setzte ein Tarn- und Anonymisierungsprogramm ein, welches die Spuren verwischte, die sie im Netzwerk hinterlassen hatte. Derart abgesichert
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