Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
sein.
Alicia gab sich redlich Mühe , nicht zu lachen. Sie gab sich wirklich Mühe. Genau zwei Sekunden hielt sie durch, dann wurde sie von kleinen Erdbebenwellen erschüttert. Kaum hatten die sich freie Bahn gebrochen, verwandelte sich ihr Kichern in ein lautes Lachen, das sie dermaßen durchschüttelte, bis Méaracán nervös zu tänzeln begann.
„ Ist es den Iren denn allen Ernstes nicht möglich, das Wort ‚homosexuell’ oder ‚schwul’ in den Mund zu nehmen?“
„ Hmpfff!“
„Jaaa, diese wortreichen, allumfassenden, irischen Ausdrucksmöglichkeiten liebe ich ganz besonders.“
„Seit wann ist er wieder zurück?“ , versuchte sich Ean in Schadensbegrenzung durch einen einfachen Themenwechsel.
Alicia blickte über ihre Schulter in die Richtung, die Ean ihr wies, und entdeckte Manuel, der vor dem Haus stand und immer wieder einen eigenartigen Blick zu ihnen warf. Sehnsucht und Bewunderung lagen darin und gaben Alicia einen Stich mitten ins Herz. Vermutlich wünschte er sich in gerade diesem Moment, so gut mit Menschen und Tieren umgehen zu können wie Ean. Oder er dachte an die Stewardess, die er zu finden gehofft hatte, und an all das, was er verloren hatte. Er machte den Eindruck eines Menschen, der zu niemandem gehörte und sich damit abgefunden hatte, allein zu sein.
„ Gestern Nacht ist er nach Hause gekommen.“
„ Und wie lange wird er jetzt bleiben?“
„Woher soll ich das wissen, Ean, wenn er sich selbst nicht mal darüber im Klaren ist? Ich kann es dir nicht sagen.“
Und es sollte sie auch nicht länger interessieren. Es ging sie nichts an. Und es frustrierte sie zunehmend, dass sich ihre Gedanken nicht so einfach von ihm ablenken ließen.
„ Um noch mal auf Callaghan zurückzukommen. Du kennst nicht zufällig jemanden bei der Telekom?“
Weil Ean verneinte, machte sich Alicia eine gedankliche Notiz, sich ebenfalls darum zu kümmern.
Als sie sich später auf den Rückweg machten, fühlte sich Alicia total ausgepumpt nach dem scharfen Ritt, der Mensch und Tier an die Grenze der Belastungsfähigkeit gebracht hatte. Doch es war eine gesunde, körperliche Erschöpfung, die sie empfand und ihr ein Gefühl der Lebendigkeit und purer Freude am Sein verlieh. Sie rang keuchend nach Luft, ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen leuchteten, als sie Ean einholte und den Wallach neben An draíocht zum Stehen brachte.
„ Wow! Das war großartig. Méaracán ist ein Prachtkerl und beinahe so schnell wie An draíocht .“ Sie schwang sich aus dem Sattel und klopfte anerkennend den muskulösen Hals des Wallachs. „Ich werde es vermissen, auf seinem Rücken über die Felder zu jagen.“
„Wie lange hast du Urlaub?“
„Noch eine ganze Weile. Zum Glück! Ich habe eine Art Bildungsurlaub, schreibe an einer Doktorarbeit.“
„Ich dachte, du wärst bereits Doktor?“
„Richtig.“ Sie zuckte mit der Schulter, als wollte sie sich entschuldigen. „Manche können vermutlich nie genug bekommen.“
„Du hast all meine Hochachtung. Schönheit und Intelligenz in einer Person vereinigt, eine gefährliche Mischung.“
„ Gefährlich? Für wen?“
„ Das wird sich herausstellen.“
Eine ganze Weile gingen sie schweigend nebeneinander, während Alicia geduldig wartete, ob er nicht doch etwas deutlicher werden würde.
Als sie den Hof erreichten, fragte er : „Hat er irgendwelche Probleme?“
Wenngleich Ean seinem Ton eine unmissverständlich sarkastische Note verliehen hatte, war ihm nichtsdestotrotz anzusehen, dass er sich ernsthaft Gedanken um den Grafen machte.
Während sie Méaracán Sattel und Trense abnahm, ihm die Beine mit frischem Wasser abwusch und mit Stroh trocken rieb, ging ihr Blick immer wieder auf Wanderschaft zu Manuel. Der Schmerz und die Enttäuschung waren deutlich in seinen Bewegungen abzulesen. Er schleppte sich langsam wie ein alter Mann zum Haus zurück. Es war natürlich gut möglich, dass er lediglich sein Bein überanstrengt hatte. Vermutlich war er den ganzen Tag unterwegs gewesen, hatte erst Susanne ins Dorf zum Einkauf begleitet und dann einige der Pächter aufgesucht, sich mit den Kindern oder Damien herumgeärgert und danach mit Éamonn im Stall gearbeitet. Mit hängenden Schultern verrichtete er seine Arbeit, die er wohl bloß deshalb erledigte, um sich Ablenkung zu verschaffen. Seine Mundwinkel waren nach unten gezogen, während er mit gerunzelter Stirn angestrengt nachzudenken schien.
„Jeder hat mit seinen persönlichen Dämonen zu kämpfen. Manche
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