Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
bleibenden Eindruck hinterlassen. Und zwar so, dass er nie wieder aufsteht. Mmmh? Du und ich, wir wissen, was du vor ihm verheimlichst. Es wird ihm nicht gefallen, dass du Geheimnisse vor ihm hast. Und deswegen, so denke ich, könnten wir zwei beide uns auf die eine oder andere Art einigen. Entweder du lässt deine Finger von dieser Sache oder ich werde dem Bastard Dinge erzählen, die ihn sicherlich brennend interessieren.“
Offenbar ging es ihm gar nicht darum herauszufinden, was sie in den Computerdateien der Polizei suchte. Weil er es bereits wusste! Er wollte ihr Angst einjagen, sie davor warnen, in der Unfallakte von Betty Jane und den Zwillingen Padhraic und Péadar zu wühlen. Doch woher wusste er von ihren Aktivitäten? Hätte er einen Spitzel unter den gardaí , wäre sie längst aus dem Verkehr gezogen worden. Das konnte bloß bedeuten, dass er ebenfalls ein Guru war und sie bei einem Hack in der Maschine der garda entdeckt hatte.
„Aber jetzt, wo du schon mal da bist, was meinst du, was ich mit dir anfangen soll?“
Alicia schluckte hart. In den unnatürlich leuchtenden Augen des Fremden spiegelten sich Kälte und wirre Gefühle. Inzwischen war sie davon überzeugt, dass Manuel noch immer allein und ahnungslos auf der Bank saß und auf sie wartete. Da war er zweifellos am besten aufgehoben. Sie sollte seine Geduld besser nicht allzu lange auf die Probe stellen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn er hier auftauchte und der Schläger seine Drohung in die Tat umsetzte!
De r Maskierte machte Anstalten, sie tiefer in den Wald vor sich her zu stoßen. Mit einem spitzen Schrei wirbelte Alicia herum und duckte sich unter seinem Arm hindurch. Dann sprang sie in die Höhe und trat ihm gegen die Wirbelsäule, sodass er ächzend in die Knie ging und kopfüber zu Boden stürzte, wo er reglos liegen blieb.
Er hatte den Schrei gehört. Doch anstatt Alicia zu Hilfe zu eilen – denn es konnte niemand anderes als Alicia gewesen sein, der etwas Schreckliches zugestoßen war –, saß er wie vom Donner gerührt, unfähig sich zu bewegen. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren, während die Erinnerung wie bittere Galle seine Kehle emporstieg.
Nein -nein-nein! Immer wieder hörte er seine eigene Stimme in seinem Kopf. Er schrie dieses Wort, bis ihm der Brustkorb schmerzte und nichts als krächzende Laute über seine blutigen Lippen kamen. Nein, nicht noch einmal! Wehrlos. Ohnmächtig. Seiner Angst ausgeliefert sein. Nie wieder hatte er dieses Gefühl erleben wollen, dass er den Tod herbeisehnte, weil sein Leben unter den Stiefeln Fremder zu Bruch ging. Nie wieder mitschuldig werden, weil er nichts gegen brutale Willkür tun konnte.
Er hörte ihre leichten Schritte näherkommen. Sie rannte. Aber noch immer machte er keine Anstalten aufzustehen, um ihr entgegenzugehen. Er konnte es einfach nicht. Er fühlte sich so schwach wie ein Säugling – und genauso hilflos. Sein Herz trommelte schmerzhaft gegen die Rippen und kalter Schweiß auf seiner Haut ließ ihn frösteln.
Was ihn lähmte, war unendlich tiefe Furcht. Es war das gleiche Gefühl wie damals. Vor zwei Jahren in Fernost.
Seine Knie zitterten, als er sich in die Höhe schob und in ihre Richtung stolperte.
„ Manuel! Du bist da.“
Mit einem Ruck blieb er stehen und starrte sie ungläubig an, als er nichts anderes als aufrichtige Freude in ihrer Miene bemerkte, nachdem sie ihn erkannt hatte.
„Und du bist unverletzt. Du bist doch okay, oder? Oh, mein Gott, ich bin so froh, dass du hier bist und dass es dir gut geht.“
Sie schlang die Arme um seinen Nacken und küsste ihn heftig. Er spürte, wie sie zitterte und zog sie dichter an sich. Das muss der Schock sein, redete er sich ein, oder die Kälte, und strich über ihren Rücken. Sonst hätte sie doch bemerkt, dass er nach wie vor an derselben Stelle stand, an der sie ihn zurückgelassen hatte. Und dass nicht er überfallen und offenbar geschlagen worden war wie sie. Schamröte überflutete sein Gesicht und am liebsten wäre er im Boden versunken.
„Was ist passiert? Du hast geschrien.“
„ Pssst. Nicht jetzt. Halt mich fest“, murmelte sie an seiner Brust. „Halt mich ganz fest. Ich will nicht darüber reden. Nicht jetzt. Ich will dich nur spüren.“
Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie. Sie war mindestens so blass wie er selber. Unter ihrem linken Auge allerdings prangte ein hässlicher Fleck, der sich bis zum nächsten Morgen unter Garantie dunkelblau
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