Der Erdbeerpfluecker
Problem!«
»Für dich nicht, Mama. Für mich schon. Und für Merle erst recht.«
Jette und ihr Stolz! Sie nahm keinen Cent mehr an als unbedingt nötig. Man brauchte sich nur ihr Auto anzuschauen. Klapprig, verbeult, unzuverlässig. Eine gefährliche Rostlaube. Aber Jette lehnte es ab, über einen neuen Wagen auch nur nachzudenken.
Imke brühte sich einen Tee auf und ging in ihr Zimmer. Sie wollte versuchen zu arbeiten. Das fehlte noch, dass sie anfing, sich wie eine Glucke aufzuführen. Sie wollte, sie hätte ein anderes Thema gewählt. Immerzu sah sie beim Schreiben Caro vor sich. Jeder Satz erinnerte sie an den schrecklichen Tod des Mädchens.
Der Kommissar, der die Morde aufklären sollte, hatte eine viel zu große ßhnlichkeit mit Bert Melzig. Imke erkannte das, konnte es jedoch nicht ändern. Vielleicht später, beim Überarbeiten, doch im Augenblick konnte sie nur Schritt für Schritt ihren Eingebungen folgen.
Vor allem musste sie Abstand zum Täter gewinnen. Es machte sie ganz nervös, dass es ihr problemlos gelang, in seine Haut zu schlüpfen und seine Gedanken nachzuvollziehen. Es war ihr wichtig, Position zu beziehen. Sie hatte nicht vor, die Taten eines Mörders zu rechtfertigen, und sei es nur auf dem Papier.
Eine Stunde lang saß sie vor dem Computer, ohne auch nur einen einzigen Satz zu schreiben. Sie war erschöpft von der ungewohnten Hausarbeit, frustriert vom Anruf des Schlossers und äußerst beunruhigt wegen Jette und Merle. Hätte sie einen Hund gehabt, wäre sie mit ihm über die Felder gelaufen. So aber nahm sie sich die Decke, rollte sich auf dem Sofa in ihrem Arbeitszimmer zusammen und fiel augenblicklich in einen festen Schlaf.
Merle verachtete sich selbst für ihre Inkonsequenz. Claudio behandelte sie einmal wie eine Prinzessin, dann wieder wie einen Putzlappen. Heute kehrte er schon die ganze Zeit den Chef heraus. Scheuchte sie hin und her, blaffte sie wegen jeder Kleinigkeit an.
Die anderen Mitarbeiter hörten gar nicht mehr hin. Sie hatten sich mit Claudio arrangiert und mischten sich nicht ein. In ihren Augen war er eben so, heute hü und morgen hott. Aber im Grunde war er ein prima Kerl.
Immer wieder war Merle heulend nach Hause gekommen und hatte sich geschworen, nie wieder auf Claudio und seine sanfte Masche hereinzufallen. Jette und Caro hatten sie darin unterstützt.
»Kein Kerl ist es wert, dass man seinetwegen Tränen vergießt«, hatte Caro gesagt. Das war, bevor sie diesen Mann getroffen hatte.
»Beweg dich, Mädchen«, sagte Claudio. »Ich bezahle dich nicht fürs Herumstehen.«
Merle band die grässliche grüne Schürze ab und drückte sie ihm in die Hand. Sie war über ihre Gelassenheit erstaunt. Ruhig sah sie Claudio in die schönen, vor Verwirrung weit aufgerissenen Augen.
»Ciao, bello«, sagte sie und ging aufreizend langsam zur Tür.
»Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht wiederzukommen!«, rief er ihr nach. Er war schon immer ein schlechter Verlierer gewesen.
Sie antwortete nicht, drehte sich nicht einmal um. Sie hob nur den Arm und zeigte Claudio den gestreckten Mittelfinger.
Dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloss und sie war frei.
Und allein.
Scheiße. Jetzt liefen ihr auch noch die Tränen übers Gesicht.
Auch an den Alibis der vorzeitig abgereisten Erdbeerpflücker war nicht zu rütteln. Manch einer hatte Dreck am Stecken, aber keiner war für die Halskettenmorde verantwortlich. Was ließ Bert trotzdem so sicher sein, dass bei den Erdbeerpflückern der Schlüssel zu den Fällen lag?
Reine Intuition. Keine Anhaltspunkte, die weitere Schritte rechtfertigen würden.
Die Arbeit war ihm selten so schwer gemacht worden. Im Fall von Simone Redleff gab es erbärmlich wenige Informationen, weil das Mädchen sehr zurückgezogen gelebt hatte. Sie hatte nur eine Freundin gehabt. Die meisten ihrer Mitschüler hatten Simone kaum gekannt.
Bei Caro bestand die Schwierigkeit darin, dass ihre Familie so gut wie nichts über sie wusste, auch der Bruder nicht, den sie inzwischen vernommen hatten. Die Einzigen, die Bert möglicherweise weiterhelfen konnten, waren Jette und Merle, und die wollten lieber auf eigene Faust ermitteln.
Er stand auf und riss das Fenster weit auf. Der Lärm der Straße quoll herein und mit ihm die Schwüle, die schon den ganzen Tag auf die Stadt drückte. Ihm ging das alles plötzlich auf die Nerven. Ebenso die ständige Geräuschkulisse seines Büros - Türenschlagen, Telefonklingeln, Reden und Lachen auf
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