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Der Erdrutsch (German Edition)

Der Erdrutsch (German Edition)

Titel: Der Erdrutsch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Martin Meyer
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sogar. Zugleich gab es da immer
diese Unsicherheit. Aber das ist eine andere Geschichte.“ Er atmete
tief duch. „Wir wollten also selbst ein Kind adoptieren. Das
Jugendamt hat uns das aber verweigert, mit der Begründung, Elsbeth
sei noch nicht so weit, wegen des Unfalls. Das war der Todesstoß für
sie. Sie versank wieder völlig in sich selbst, sie ließ keinen
Menschen an sich heran. Ich habe immer wieder versucht, sie zu einer
Therapie zu bewegen, aber sie sah darin keinen Sinn. Irgendwann bin
ich an die Grenzen meiner Kraft gekommen. Ich wusste einfach nicht
mehr weiter. Aber das Leben bleibt doch nicht stehen, verstehst du?
Was sollte ich denn machen? Ich habe mich damals von ihr getrennt.
Danach ist der Kontakt fast vollständig abgebrochen. Ich bin wieder
hier in die Gegend gezogen, ich musste weg aus Pinneberg, aus
Hamburg. Hier komme ich ja ursprünglich her. Hier kenne ich alles.
Ich brauchte eine gewohnte Umgebung um mich herum. Mit ist das damals
sehr schwer gefallen. Aber es ging nicht anders.“ Noch einmal
atmete Walter tief durch.
    „ Sie
aber ist auf dem Hof geblieben“, fuhr er fort. „Mit allen
Erinnerungen. Wir haben nach einer Phase des Abstandes oft
miteinander telefoniert. In der Anfangszeit. Aber auch das brach
irgendwann ab. Sie hatte sich so in den Gedanken verstiegen,
unbedingt ein Kind haben zu wollen, ich konnte mir das nicht mehr
anhören. Wenn ich damals gewusst hätte, was sie vorhatte …“
    Walter stand wieder auf. Er ging zur Toilette und kehrte mit einem
Foto, das er aus dem Wohnzimmer geholt hatte, zurück.
    „ Hier,
das ist ein Urlaubsfoto, erkennst du das Haus? Das ist auf dem
Parkplatz der Lechners. Ich glaube, die haben danach nochmal
angebaut, oder? Da war die Welt noch in Ordnung. Kurz darauf ist der
Unfall passiert.“ Walter setzte sich wieder.
    „ Wusstest
du, dass das Kind, das sie entführt hat, hier aus der Gegend
stammte?“ fragte er Paul, der den Kopf schüttelte. „Sie war wohl
auf dem Weg zu mir gewesen. Keine Ahnung, ob sie das öfter gemacht
hat. Sie ist nie bei mir angekommen. Sie hat es niemals erwähnt. Wer
weiß, vielleicht hat sie vor meiner Wohnungstür gestanden, sich
dann aber nicht getraut, zu klingeln. Eines Tages hat sie einfach
dieses Kind vom Spielplatz mitgenommen. Sie hat wirklich geglaubt,
das sei ihr Kind.“ Er senkte den Kopf. „Wenn ich mich doch damals
etwas mehr um sie gekümmert hätte, dann wäre das alles nicht
passiert. Aber ich war doch auch so voller Trauer, kannst du das
verstehen?“ Er stellte diese Frage mehr sich selbst, als dass er
von Paul eine Antwort erwartete. So nickte dieser nur leicht.
    „ Ich
habe das damals gar nicht mitbekommen. Natürlich habe ich in den
Zeitungen von dem Verschwinden des Kindes gelesen. Aber wie hätte
ich denn wissen können, dass …“ Er schluckte schwer. „Sie hat
in der Zeit sogar mehrfach mit mir telefoniert. Ich hatte immer den
Eindruck, es ginge ihr besser, als würde sie sich langsam fangen.
Sie hat von Projekten und Artikeln erzählt, die sie in Angriff
nehmen wollte. Nie ist etwas daraus geworden. Aber sie hat das alles
sehr gelassen aufgenommen.“ Walter blickte Paul wieder einmal
direkt an. „Als dann alles herauskam, da war ich wie vor den Kopf
geschlagen. Ich konnte mir das nicht erklären. Natürlich musste ich
auch vor Gericht aussagen. Das war nicht leicht für mich. Meine
Nachbarn und meine Freunde haben mich damals gemieden, so als ob ich
mit der Sache etwas zu tun gehabt hätte.
    Sie hat dafür gebüßt. Irgendwann hat sie mich einmal angerufen,
als sie aus dem Gefängnis wieder raus war. Zehn Jahre. Eine Frau,
die nichts mehr liebte als die Freiheit. Zehn Jahre hinter
Stacheldraht und Beton. Sie hat eine Therapie gemacht. Das war eine
der Auflagen, damit sie überhaupt wieder raus kam und nicht in die
Psychiatrie überwiesen wurde.“ Walter schüttelte den Kopf, wie um
die Erinnerungen an die Vergangenheit abzuwerfen.
    „ Wissen
Sie, was aus dem Kind geworden ist?“ Paul war die Stille
unangenehm.
    „ Nein,
das weiß ich nicht. Ich hatte ja noch nicht einmal richtig Kontakt
zu Elsbeth. Da habe ich mich mit diesen Fragen nicht beschäftigt.
Wieso fragst du?“
    „ Aus
keinem bestimmten Grund. Ich finde es einfach nur interessant zu
erfahren, was mit einem Menschen passiert, der so etwas erlebt hat.“
    Paul fiel nun nichts mehr ein, was er Walter fragen könnte. Außerdem
war er sehr betroffen von der Geschichte. Er musste Johan erreichen,
um ihm zu

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