Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
geworden, und die tiefen glichen einer Viola, sie waren dunkel und weich. Er sang des Weißen Zauberers Sterbelied, die Klage Elfarrans, als sie um Morreds Tod wußte und auf ihren eigenen wartete. Nicht oft und nicht leichtfertig wird dieses Lied gesungen. Sperber hörte die junge, starke und sichere Stimme, die voll Trauer und Schmerz unter dem roten Abendhimmel über die weite See klang, und Tränen traten in seine Augen und verschleierten seinen Blick.
Arren schwieg eine Weile, als er das Lied zu Ende gesungen hatte. Dann sang er leichtere, anspruchslosere Melodien, und seine Stimme umschmeichelte und bestrickte das wellenbewegte Meer, die vom Wind bewegte Luft und das immer schwächer werdende Licht, bis die Nacht einbrach.
Als er verstummte, war alles ringsum still: kein Wind regte sich, die Wellen waren kaum wahrnehmbar, das Holz und die Seile knirschten kaum hörbar. Die See war verstummt, und über ihnen erschien ein Stern nach dem andern. Ein durchdringend helles Licht leuchtete im Süden auf und goß einen goldenen Funkenregen über das Wasser.
»Ein Leuchtfeuer! Schauen Sie!« Und eine Sekunde später: »Ist das vielleicht ein Stern?«
Sperber blickte eine Weile auf das Licht, dann sagte er: »Ich glaube, das ist der Stern Gorbadon. Man kann ihn nur im Südbereich sehen. Gorbadon bedeutet Krone. Kurremkarmerruk hatte uns das erzählt, und wenn wir noch weiter nach Süden fahren würden, dann würden noch acht weitere Sterne, einer nach dem andern, unter Gorbadon auftauchen und sich zu einem eindrucksvollen Sternbild schließen, manche sagen, es gleiche einem Läufer, andere sehen die Rune Agnen darin, die Rune des Endens.«
Sie sahen zu, wie der Stern sich langsam vom Horizont löste und mit gleichmäßig starkem, stetigem Licht leuchtete.
»Du hast Elfarrans Lied gesungen«, sagte Sperber, »so als ob du ihren Schmerz nachempfinden könntest, und du hast ihn mich mitfühlen lassen … Von all den Geschichten, die in der Erdsee erzählt werden, hat mich diese immer am meisten gefesselt. Morreds Mut, trotz der Hoffnungslosigkeit, und Serriadh, der milde König, der jenseits der Hoffnungslosigkeit geboren wurde, ich bewundere sie. Und dann sie, Elfarran! Als ich die schlimmste Tat meines Lebens vollbrachte, hatte ich mich zu ihr, zu ihrer Schönheit, hingewandt, und ich habe sie gesehen – ganz kurz habe ich Elfarran gesehen.«
Ein kalter Schauer rieselte Arrens Rücken hinunter. Er schluckte und rührte sich nicht, seine Augen waren auf den prächtigen, beunruhigenden, topasfarbenen Stern gerichtet.
»Wer ist dein Held?« fragte der Magier, und Arren sagte nach kurzem Zögern: »Erreth-Akbe.«
»Weil er der Größte war?«
»Weil er, wenn er gewollt hätte, über die ganze Erdsee hätte herrschen können, aber er tat es nicht, sondern er ging fort, ganz allein, und er war allein, als er im Kampf mit dem Drachen Orm an Selidors Küste starb.«
Sie saßen eine Weile schweigend, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, dann fragte Arren, und sein Blick war noch immer auf den gelb leuchtenden Gorbadon gerichtet: »Dann ist es also wahr, daß die Toten durch Magie wieder ins Leben zurückgerufen werden und mit lebenden Menschen reden können?«
»Mit gewissen Zauberformeln des Gebietens können wir Tote erwecken, ja. Aber das wird nur sehr selten getan, und ich bezweifle, ob es jemals gut ist, das zu tun. Und in diesem Punkt stimmt der Meister des Gebietens mit mir überein, er unterrichtet die Zauberkunde von Paln, in der diese Formeln enthalten sind, nicht. Die mächtigsten Formeln stammen von dem Grauen Magier zu Paln, der vor ungefähr tausend Jahren lebte. Der gebot den alten Helden und Magiern, selbst Erreth-Akbe, zu erscheinen und die Fürsten von Paln in Fragen der Kriegsführung und Regierungskunst zu beraten und ihre Herrscherprobleme zu lösen. Aber der Rat von Toten nützt den Lebenden wenig. Paln ging elendiglich zugrunde, der Graue Magier wurde vertrieben und als er starb, hatte er keinen Namen mehr.«
»Es ist also böse, wenn man das tut?«
»Ich würde eher sagen, daß es auf einem Mißverständnis beruht – dem Mißverständnis des Lebens. Denn Leben und Tod sind ein und dieselbe Sache – wie die zwei Seiten meiner Hand, die Innenfläche und der Handrücken. Doch obwohl sie ein Ganzes formen, sind sie verschieden … Sie können weder getrennt noch verwechselt werden.«
»Dann werden also heutzutage diese Formeln nicht mehr gebraucht?«
»Ich habe nur einen Menschen
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