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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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außerordentlichen Zauberkräften gerüsteter Speer konnte anderen Körperstellen Schaden zufügen. Der aus dem langen, mit Zähnen gespickten Rachen strömende Rauch erstickte ihn fast, und der Aasgestank des Drachenatems würgte ihn. Er biß die Zähne zusammen und hielt die Luft an.
    Der Schatten flog vorbei. Er kam wieder zurück, und dieses Mal spürte Arren die heiße Glut des Rachens, bevor er den Rauch roch. Er vernahm Sperbers klare, gebieterische Stimme. Der Drache flog weiter. Dann stoben sie alle auseinander, wie feurige Funken vom Windstoß davongetragen werden.
    Arren atmete tief aus und wischte sich über die schweißbedeckte Stirn. Er blickte seinen Gefährten an und sah, daß dessen Haar weiß war, der Atem des Drachen hatte die Haarspitzen zu Asche verbrannt. Und auch das schwere Segeltuch war auf der einen Seite braun verkohlt.
    »Dein Kopf ist etwas angesengt, mein Junge.«
    »Mein Gebieter, auch Ihrer ist nicht mehr so, wie er war.«
    Sperber fuhr sich überrascht durchs Haar. »Du hast recht! Das war eine Frechheit, doch ich gehe einem Streit mit diesen Geschöpfen aus dem Wege. Sie scheinen toll oder ganz verängstigt zu sein. Sie haben nicht gesprochen. Noch nie habe ich einen Drachen gesehen, der nicht, bevor er auf seine Beute herabstieß, etwas sagte, wenn es auch nur ein paar Worte waren, genug zumindest, um die Qual zu verlängern … Jetzt müssen wir weiter. Schau ihnen nicht in die Augen, Arren! Wende dein Gesicht zur Seite, wenn es nötig ist. Wir segeln mit dem Wind der Welt weiter. Er bläst ja ganz frisch aus dem Süden. Es ist möglich, daß ich meine Kunst für anderes brauche. Halte das Boot auf Kurs.«
    Die Weitblick segelte weiter, und bald tauchte linker Hand in der Ferne eine neue Insel auf, und rechts lagen die Zwillingsinseln, die sie zuerst gesehen hatten. Sie bestanden aus niederen Felsen, die nackt emporragten, weißlich gesprenkelt vom Kot der Drachen und mit kleinen, dunklen Punkten übersät, wo die schwarzköpfigen Seeschwalben nisteten, die sich furchtlos unter den Drachen tummelten.
    Die Drachen waren emporgestiegen und kreisten wie Aasgeier hoch in der Luft. Keiner kam mehr auf das Boot heruntergestoßen. Manchmal schrien sie sich etwas zu, hoch und krächzend, über den Abgrund hinweg, der zwischen ihnen lag. Arren konnte nicht verstehen, ob es Worte waren.
    Das Boot umsegelte eine kleine Landenge, und Arren sah etwas am Strand liegen, das wie eine zerfallene Festung aussah. Es war ein Drache. Ein schwarzer Flügel lag unter ihm, der andere streckte sich riesig über den Sand ins Wasser, und das Auf und Ab der Wellen hob und senkte ihn, eine klägliche Nachahmung des Fluges. Der lange, schlangenartige Körper lag ausgestreckt über Sand und Gestein. Eine Vorderklaue fehlte, die Schuppen und das Fleisch hingen lose von den Rippen, der Bauch war aufgerissen, und giftiges Drachenblut hatte eine weite Fläche des Sandes schwarz gefärbt. Doch der Drache lebte noch. Die Lebenskraft eines Drachen ist so groß, daß nur eine ihm ebenbürtige Zauberkraft ihn rasch töten kann. Die grüngoldenen Augen standen offen, und als das Boot vorbeiglitt, bewegte sich der schmale, riesige Kopf ein wenig, und ein dünner Strahl Blut schoß aus den Nüstern.
    Der Strand zwischen dem sterbenden Drachen und dem Meer war plattgewalzt und zertrampelt von den Füßen und schweren Körpern anderer Drachen, seine Eingeweide waren in den Sand hineingestampft worden.
    Weder Arren noch Sperber redeten, bis sie ein gutes Stück von der Insel entfernt waren und sich mitten auf der breiten Meeresstraße befanden, die, gespickt mit Untiefen, Riffen und Klippen, die nördliche der Inselkette von der südlichen trennte. Da erst sagte Sperber mit ausdrucksloser, harter Stimme: »Das war ein schrecklicher Anblick.«
    »Fressen sie sich … gegenseitig auf?«
    »Nein, genausowenig, wie wir es tun. Sie sind wahnsinnig geworden. Sie haben ihre Sprache verloren. Sie, die lange vor den Menschen über Sprache verfügten, die älter sind als jedes Lebewesen unserer Welt, die Kinder von Segoy – sie sind nun nichts weiter mehr als Tiere und von einer blinden, wilden Furcht besessen. ›Oh, Kalessin! Wohin haben dich deine Flügel getragen? Hast du noch erlebt, wie deine Rasse es gelernt hat, sich zu schämen?‹« Seine Worte hallten wie Metallschläge über das Meer, und er blickte suchend in die Höhe. Doch die Drachen waren zurückgeblieben. Sie kreisten jetzt niedriger über der Felseninsel und dem

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