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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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große Bucht wie ein kleines Binnenmeer, das im Osten eine schmale Ein- und Ausfahrt zu der offenen See aufwies. Sie waren nicht weit genug nach Norden gesegelt, um diesen schmalen Einlaß in die große Bucht zu sehen. Sie näherten sich der Insel von Süden her und steuerten auf eine kleine, tiefe Bucht am südlichsten Vorgebirge zu, und hier, während die Sonne, noch vom Dunst des Morgens bedeckt, niedrig am Himmel stand, gingen sie an Land.
    Sie hatten das Ende ihrer großen Fahrt von den Straßen von Balatran bis zur westlichsten aller Inseln erreicht. Die Ruhe des Landes war ihnen ungewohnt, als sie – nachdem die Weitblick hoch aufs Ufer gezogen worden war – nach so langer Zeit endlich wieder auf festem Boden standen.
    Ged kletterte eine langgestreckte Düne hinauf, die mit Gras bewachsen war und deren oberster Rand, von zähen Graswurzeln festgehalten, sich über einen steilen Abgrund wölbte. Als er oben angekommen war, ließ er seinen Blick weit über Norden und Westen schweifen. Arren war noch beim Boot und zog seine Schuhe an, die er so lange nicht getragen hatte. Er nahm auch sein Schwert aus der Gerätekiste und gürtete es. Dieses Mal stiegen keine Zweifel in ihm auf, ob er das Rechte tat. Dann kletterte er hinauf zu Ged und blickte ebenfalls über das Land.
    Die Dünen erstreckten sich ungefähr eine halbe Meile weit gegen das Landinnere, dann folgten Lagunen, mit Schilfrohr und Binsen dicht bestanden, und dahinter erhoben sich niedrige Hügel, die sich gelbbraun und kahl in der Ferne verloren. Selidor besaß seine eigene wilde und einsame Schönheit. Nirgends sah man Spuren von Menschen. Kein Tier ließ sich blicken, die mit Schilf gefüllten Seen bargen keinen Vogel, keiner Wildente und keiner Möwe Schrei zerriß die Luft.
    Sie gingen die Düne hinab. Der Sandhügel erstickte das Geräusch der Brandung und hielt den Wind ab. Plötzlich umgab sie Stille.
    Zwischen der ersten und der nächsten Düne gab es ein kleines Tal, mit reinem Sand bedeckt und vom Wind geschützt; die Mittagssonne lag wärmend auf dem westlichen Hang. »Lebannen«, sagte der Magier, er nannte ihn jetzt bei seinem wahren Namen, »ich konnte heute nacht nicht schlafen, doch jetzt muß ich es nachholen. Bleib hier und wache!« Er legte sich in die Sonne, denn im Schatten war es zu kühl, hob seinen Arm schützend vor die Augen, seufzte tief und schlief ein.
    Arren ließ sich neben ihm nieder. Er sah nur die weißen Hügel des kleinen Tales und auf den Rändern der Dünen das kurze Gras, das sich vor einem milchigblauen Morgenhimmel bewegte, im dem die gelbe Sonne stand. Kein Laut, nur das gedämpfte Murmeln der Brandung und ab und zu das schwache Raunen des von Wind bewegten Grases ließ sich vernehmen.
    Arren sah hoch oben etwas fliegen, das wie ein Adler aussah, doch kein Adler war. Der Vogel kreiste, dann stieß er herab und kam mit donnerndem Getöse und einem schrillen Pfeifen seiner ausgestreckten goldenen Flügel pfeilgerade auf ihn zu. Er ließ sich, mit gestreckten Klauen, auf dem Rand der Düne nieder. Der riesige Kopf hob sich schwarz und feurig glitzernd vor der Sonne ab.
    Der Drache kroch etwas näher, den Hang herunter, und sprach: »Agni Lebannen!«
    Arren stellte sich mit gezogenem, blankem Schwert zwischen ihn und Ged und antwortete: »Orm Embar!«
    Jetzt fühlte sich das Schwert ganz leicht an. Der glatte, abgenutzte Griff schmiegte sich in seine Hand: er paßte genau hinein. Die Klinge war bereitwillig, leicht und mühelos aus der Scheide geschlüpft. Die im Schwert steckende Kraft und sein hohes Alter waren auf Arrens Seite, und jetzt wußte er, wie es zu gebrauchen war. Erst jetzt war es sein Schwert.
    Der Drache sprach wieder, doch Arren konnte ihn nicht verstehen. Er warf einen Blick auf seinen schlafenden Gefährten, der weder von dem Lärm noch dem plötzlichen Wind geweckt worden war, und sagte zu dem Drachen: »Mein Gebieter ist müde, er schläft.«
    Daraufhin begann Orm Embar näher zu kriechen und steuerte auf den Fuß des Hügels zu. Auf der Erde bewegte er sich schwerfällig, nicht leicht und geschmeidig wie im Flug, doch lag eine gewisse Grazie in dem langsamen, schweren Tappen seiner großen Klauen, in der kraftvollen Krümmung seines gezackten Schwanzes. Am Fuß des Hügels angekommen, faltete er seine Beine unter sich und legte sich darauf, dann hob er den Kopf und rührte sich nicht mehr. Jetzt glich er den Drachen, die sich auf den Helmen alter Krieger kunstvoll erhoben. Arren spürte, wie

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