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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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auf Harrys Tisch zu.
    »Guten Abend, mein Freund«, sagte Ståle Aune. »Das scheint hier ja deine feste Ecke zu sein?«
    »Das ist keine Ecke«, sagte Harry ohne das geringste Lallen. »Das ist ein Winkel. Ecken sind auf der Außenseite. Man umrundet eine Ecke, man sitzt nicht in einer.«
    »Und was ist mit dem Wort ›Ecktisch‹?«
    »Nicht ein Tisch in einer Ecke, sondern ein Tisch mit einer Ecke. Wie in Ecksofa.«
    Aune lächelte zufrieden. Das war ein Gespräch nach seinem Geschmack. Die Bedienung kam und warf ihm einen misstrauischen Blick zu, als er einen Tee bestellte.
    »Dann sitzt man wohl auch nicht in seiner angestammten Ecke, oder?«, fragte er und zupfte an seiner rotschwarz gepunkteten Fliege herum.
    Harry lächelte. »Versuchst du mir was zu sagen, Herr Psychologe?«
    »Tja, ich nehme an, du hast mich angerufen, weil du wolltest, dass ich dir etwas sage.«
    »Wie viel nimmst du in der Stunde, um Menschen zu erklären, dass sie sich gerade schämen?«
    »Pass auf, Harry. Das Trinken ärgert nicht nur dich, du ärgerst damit auch andere. Ich bin nicht hierhergekommen, um dir deine Selbstachtung zu nehmen, deine Eier oder dein Bier. Dein Problem ist bloß, dass sich im Moment all diese Dinge in dem Glas vor dir befinden.«
    »Du hast wie immer recht«, sagte Harry und nahm sein Bier. »Und deshalb sollte ich mich beeilen, es auszutrinken.«
    Aune stand auf. »Wenn du über dein Trinken reden willst, machen wir das wie üblich in der Praxis. Diese Beratung ist vorbei, und du bezahlst den Tee. «
    »Warte«, sagte Harry. »Guck mal. « Er drehte sich um und stellte den Rest des Biers auf den leeren Tisch hinter sich. »Das ist mein Zaubertrick. Ich beende meine Saufphasen mit einem Bier, das ich ganz langsam trinke, ich brauche eine Stunde dafür, nehme jede zweite Minute einen kleinen Schluck. Wie eine Schlaftablette. Dann gehe ich nach Hause, und ab dem nächsten Tag bin ich trocken. Ich will mit dir über den Angriff auf Halvorsen sprechen.«
    Aune zögerte. Dann setzte er sich wieder. »Schreckliche Sache. Ich hab die Details gehört.«
    »Und, was siehst du?«
    »Ich ahne dunkel, Harry. Sicher nicht mehr.« Aune nickte aufmunternd der Bedienung zu, die den Tee brachte. »Aber wie du weißt, sind meine dunklen Ahnungen besser als die der anderen Taugenichtse in meiner Branche. Was ich sehe, ist auf jeden Fall eine Parallele zwischen diesem Angriff und dem Mord an Ragnhild Gilstrup. «
    »Erzähl.«
    »Abgrundtiefe Wut, ein Ausbruch. Gewalt, bedingt durch sexuelle Frustration. Wutanfälle sind, wie du weißt, typisch für Borderline-Persönlichkeiten. «
    »Ja, nur dass diese Person ihre Wutausbrüche anscheinend kontrollieren kann. Sonst hätten wir mehr Spuren an den Tatorten gefunden. «
    »Guter Gesichtspunkt. Es kann sich um einen von seiner Wut gesteuerten Gewalttäter handeln – oder um ›eine Person, die Gewalt ausübt‹, wie es in meiner Branche korrekt heißen müsste –, jemand, der im täglichen Leben gesetzt, ja fast defensiv wirken kann. Im American Journal of Psychology war neulich ein Artikel über Personen, die sich durch diese 'slumbering rage‹ auszeichnen. Ich nenne das Dr. Jekyll und Mr Hyde. Und wenn Mr Hyde erwacht «
    Aune wedelte mit dem linken Zeigefinger, während er einen kleinen Schluck Tee nahm.
    »... fallen Jüngstes Gericht und Götterdämmerung auf einen Tag. Und wenn diese Wut erst mal da ist, können sie sie gewiss nicht mehr kontrollieren.«
    »Klingt nicht gerade wie die beste aller Charaktereigenschaften für einen Profikiller.«
    »Auf gar keinen Fall. Worauf willst du hinaus?«
    »Stankic verliert bei dem Mord an Ragnhild Gilstrup und bei seiner Attacke gegen Halvorsen seinen ganzen Stil. Das ist so … unklinisch. Und unterscheidet sich fundamental von den Morden an Robert Karlsen und den anderen, über die wir durch die Berichte von Europol erfahren haben.«
    »Ein wütender, instabiler Profikiller? Tja. Es gibt aber auch genügend instabile Piloten und Betriebsleiter von Kernkraftwerken. Nicht jeder hat den Job, den er haben sollte, weißt du. «
    »Na denn, prost.«
    »Ich dachte jetzt wirklich nicht an dich. Bist du dir eigentlich im Klaren darüber, dass du gewisse narzisstische Züge hast, Hauptkommissar? « Harry lächelte.
    »Willst du mir verraten, warum du dich schämst?«, fragte Aune. »Glaubst du, es ist deine Schuld, dass Halvorsen niedergestochen wurde?«
    Harry räusperte sich. »Na ja. Auf jeden Fall war ich es, der ihm den Auftrag gegeben

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