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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Händen. Der Fehltritt, auf den sie gewartet hatten. Den offiziellen Vorwand, um den alkoholkranken Hauptkommissar zu feuern und zu seinesgleichen zu schicken, zu den unzivilisierten Zivilen. Harry versuchte, seinen innersten Gefühlen nachzuspüren. Doch er fand nichts als Erleichterung.
    »Sie haben morgen meine Kündigung auf dem Schreibtisch, Chef.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Hagen. »Ich gehe davon aus, dass da in Zagreb eben keine Ermittlungen liefen. Das wäre schließlich äußerst peinlich für uns alle.«
    Harry blickte auf.
    »So wie ich das sehe«, sagte Hagen, »haben Sie eben eine kleine Studienreise nach Zagreb unternommen.«
    »Studienreise, Chef?«
    »Ja, eine nicht weiter spezifizierte Studienreise. Und hier ist meine schriftliche Genehmigung Ihres mündlich eingereichten Antrags auf eine Studienreise nach Zagreb.« Ein maschinengeschriebener A4-Zettel segelte auf den Schreibtisch und blieb vor Harry liegen. »Und damit sollte das aus der Welt sein.« Hagen stand auf und trat an die Wand, an der das Bild von Ellen Gjelten hing. »Halvorsen ist schon der zweite Partner, den Sie verloren haben, nicht wahr?«
    Harry nickte. Es wurde still in dem engen, fensterlosen Büro.
    Dann räusperte Hagen sich: »Haben Sie das kleine Knochenstückchen gesehen, das auf meinem Schreibtisch liegt? Ich habe es in Nagasaki gekauft. Es ist eine Kopie des verbrannten kleinen Fingers von Yoshito Yasuda, einem bekannten japanischen Bataillonschef. « Er wandte sich Harry zu. »Die Japaner pflegten nämlich ihre Toten zu verbrennen, doch in Birma mussten sie sie begraben, weil es so viele waren und weil es an die zehn Stunden dauert, bis ein Körper vollständig verbrannt ist. Sie schnitten den Toten aber die kleinen Finger ab, verbrannten sie und sandten sie den Angehörigen. Nach einer entscheidenden Schlacht bei Pegu im Frühjahr 1943 waren die Japaner zum Rückzug gezwungen und mussten sich im Dschungel verstecken. Bataillonschef Yasuda flehte seineVorgesetzten an, noch am gleichen Abend wieder anzugreifen, so dass sie die Gebeine ihrer Toten holen konnten. Es wurde ihm verwehrt, denn die Übermacht war zu groß, und so stand er an diesem Abend weinend vor seinen Männern und erzählte ihnen im Feuerschein vom Beschluss ihres Kommandanten. Doch als er die Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern seiner Untergebenen sah, trocknete er seine Tränen, zog sein Bajonett, legte die Hand auf einen Hauklotz, hieb sich den kleinen Finger ab und warf ihn ins Feuer. Die Männer jubelten. Der Kommandant erfuhr davon, und am nächsten Tag griffen die Japaner mit voller Stärke an. «
    Hagen trat an Halvorsens Tisch und hob einen Anspitzer hoch, den er eingehend musterte.
    »Ich habe in meinen ersten Tagen als Chef hier eine Reihe von Fehlern gemacht. Es ist nicht auszuschließen, dass einer davon indirekt mit dem Tod von Halvorsen zu tun hat. Was ich sagen will, ist « Er legte den Anspitzer weg und holte tief Luft: »... dass ich mir wünschen würde, ich könnte es machen wie Yoshito Yasuda und Sie begeistern. Nur weiß ich nicht wirklich, wie ich das anstellen soll.«
    Harry hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Deshalb hielt er den Mund.
    »Ich möchte darum nur eins sagen, Harry. Ich will, dass Sie den oder die Täter finden, die dafür verantwortlich sind. Das ist alles.«
    Die beiden Männer vermieden es, einander anzusehen. Hagen schlug die Hände zusammen, um die Stille zu durchbrechen. »Aber, Harry, tun Sie mir den Gefallen und tragen Sie diese Waffe. Sie wissen, vor den anderen … Wenigstens bis Neujahr, dann mache ich diese Verordnung rückgängig.«
    »In Ordnung.«
    »Danke. Ich stelle Ihnen eine neue Ausgabebescheinigung aus. « Harry nickte und Hagen ging zur Tür.
    »Wie ging es denn aus?«, fragte Harry. »Ich meine, der japanische Gegenangriff?«
    »Ach das. « Hagen drehte sich um und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Sie wurden vernichtet.«
     
    *
     
    Kjell Atle Orø arbeitete schon seit neunzehn Jahren an der Materialausgabe im Keller des Polizeipräsidiums, und an diesem Morgen brütete er über dem Totoschein und fragte sich, ob er so dreist sein sollte, beim Spiel am ersten Weihnachtstag auf einen Auswärtssieg von Fulham gegen Arsenal zu setzen. Er wollte Oshaug den Schein in der Lunchpause mitgeben, deshalb eilte es. Daher fluchte er auch leise, als er nun noch jemand mit der Metallglocke klingeln hörte.
    Stöhnend richtete er sich auf. Orø hatte seinerzeit selbst

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