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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Abtreibung gedacht hatte. Er tröstete sie, doch als seine zärtlichen Liebkosungen dreister wurden, schob sie ihn fort und sagte ihm, das sei für eine ganze Weile das letzte Mal gewesen. Mads dachte, sie meine die Geburt, und erklärte sich gleich einverstanden. Er war deshalb gleichermaßen enttäuscht und verzweifelt, als sie ihm zu verstehen gab, dass sie eine geraume Weile überhaupt keinen Sex mehr haben wollte. Mads Gilstrup war nämlich inzwischen auf den Geschmack gekommen. Insbesondere schätzte er das Selbstvertrauen, das es ihm gab, wenn er ihr, wie er meinte, zu ihren kleinen, aber feinen Orgasmen verhalf. Trotzdem akzeptierte er die Gründe, die sie vorbrachte. Die Nachwirkungen der Trauer und die hormonellen Veränderungen nach der Geburt. Ragnhild konnte ihm ja schlecht sagen, dass die letzten zwei Jahre aus ihrer Sicht ein reines Pflichtprogramm gewesen waren und sie den letzten Rest an Lust, den sie ihm mit Mühe entgegenbringen konnte, verloren hatte, als sie im Kreißsaal in sein dummes, glotzendes, verschrecktes Gesicht gestarrt hatte. Und als er vor Glück heulte und die Schere auf den Boden fallen ließ, mit der er das Zielband aller gebärenden Väter hätte durchschneiden sollen, hatte sie nur noch Lust, ihm eine zu kleben. Und genauso wenig konnte sie ihm sagen, dass sie und ihr unbrillanter Chef im letzten Jahr immer öfter ihre wechselseitigen sexuellen Bedürfnisse befriedigt hatten.
    Ragnhild war die einzige Brokerin in Oslo, der eine vollwertige Partnerschaft angeboten wurde, als sie ihre Babypause antrat. Doch zur Überraschung aller reichte sie stattdessen die Kündigung ein. Ihr war ein anderer Job angeboten worden. Die Verwaltung von Mads Gilstrups Familienvermögen.
    Sie erklärte ihrem Chef an ihrem Abschiedsabend, es sei, wie sie meinte, an der Zeit, dass sich die Broker um sie kümmerten und nicht mehr umgekehrt. Sie sagte nichts über die eigentliche Ursache: dass es Mads Gilstrup nämlich nicht gelungen war, seine einzige Aufgabe zu erfüllen und gute Ratgeber zu finden. Das Familienvermögen war in derart rasantem Tempo zusammengeschrumpft, dass ihr Schwiegervater,Albert Gilstrup, und Ragnhild schließlich gemeinsam eingegriffen hatten. Es war das letzte Mal, dass Ragnhild ihren früheren Chef sah. Einige Monate später hörte sie, er habe sich nach langwierigen, hartnäckigen Asthmaattacken krankgemeldet.
    Ragnhild mochte Mads’ Bekanntenkreis nicht, und sie wusste, dass auch Mads sich in seinem Umfeld nicht wohlfühlte. Trotzdem gingen sie auf die Feste, auf die sie eingeladen wurden. Die Alternative, aus dem Kreis der Menschen ausgestoßen zu werden, die etwas bedeuteten oder besaßen, wäre schließlich noch deutlich unangenehmer gewesen. Eine Sache waren die aufgeblasenen, selbstzufriedenen Männer, die ernsthaft der Meinung waren, ihr Geld gebe ihnen das Recht zu einem solchen Verhalten. Noch schlimmer jedoch waren ihre Frauen, »die Zicken«, wie Ragnhild sie im Stillen nannte. Diese unablässig plappernden, Shopping- und Wellnessbesessenen Hausmütterchen mit ihren täuschend echt aussehenden Brüsten und ihrer Bräune, die tatsächlich echt war, weil sie mal wieder zwei Wochen mit den Kindern in Saint-Tropez verbracht hatten. Schließlich brauchten sie eine Pause von ihren Au-pairs und den ständig lärmenden Handwerkern, die einfach nie mit dem Pool und der neuen Küche fertig wurden. In ihren Stimmen schwang die aufrichtige Sorge darüber mit, dass es in den letzten Jahren in Europa mit den Shoppingmöglichkeiten steil bergab gegangen war, doch ansonsten erstreckte sich ihr Horizont kaum von Slemdal nach Bogstad und im Sommer allenfalls noch bis zu ihrem Sommersitz in Kragerø im Sørland. Kleider, plastische Chirurgie und Trainingsgeräte waren ihre Themen, denn das waren die Werkzeuge, mit deren Hilfe sie ihre reichen, aufgeblasenen Männer halten konnten, die schließlich ihre einzige Mission hier auf Erden darstellten.
    Wenn Ragnhild so dachte, war sie manchmal von sich selbst überrascht. Waren diese Frauen nicht wie sie? Vielleicht lag der einzige Unterschied darin, dass sie tatsächlich eine Arbeit hatte. Ertrug sie deshalb die selbstzufriedenen Mienen nicht, wenn sie vormittags im Restaurant in Vindern hockten und sich über den Missbrauch des Sozialstaats und die Drückeberger in der Gesellschaft beklagten, die sie leicht verächtlich als »Gemeinwesen« bezeichneten? Oder war es etwas anderes? Denn irgendetwas war geschehen. Eine Revolution. Sie hatte

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