Der Eroberer
Welt und den König, der sie regiert. Vielleicht wäre es klüger von dir, dich irgendeiner nach Osten ziehenden Karawane anzuschließen.« Hano schlug den wollenen Umhang zurück und enthüllte ein fahles, häßliches Bein. Er hob seine runzlige Hand und ließ sie treffsicher auf eine Stelle am Bein niederfahren, die er mit den Hornschuppen seiner Finger zu bearbeiten anfing.
»Ich habe genug von all dem Geschwätz über Götter und Dämonen. Kann sich niemand damit begnügen, an die Menschen zu glauben und daran, was sie sein könnten, wenn sie aufhörten, ihr Mißgeschick unsichtbaren Göttern zuzuschreiben, statt dem eigenen Unvermögen? Das Leben ist nicht leicht; gut und mit Würde zu leben ist äußerst schwer … aber, beim Hades, laß es uns nicht noch schwerer machen mit Gottheiten und Wassernymphen.«
Simon spuckte in die Kohlenpfanne, daß es zischte.
Hano kratzte sich an den Schenkeln, schlug dabei seinen Umhang weiter zurück und entblößte noch mehr von seinem kränklichen Fleisch.
»Ich habe übernatürliche Zeichen des Bösen gesehen, mein Junge.«
»Du hast gesehen, was ein wirrer Geist sehen will.«
»Was ist nur los mit dir? Wir sollten diese Unterhaltung lieber abbrechen, bevor du noch mehr Lästerungen herausposaunst und uns beide ins Gefängnis bringst.«
»Lästerung und Hochverrat, wenn Alexanders aufgeblasene Behauptungen wahr sein sollten.« Simon wandte den Blick von den dünnen Beinen des Alten ab und starrte auf die Kohlenpfanne.
Hano wechselte das Thema. »Selbst in Utopien«, sagte er zu Simon, »würdest du immer noch nach Vervollkommnung streben. Du nennst dich einen Realisten; Perfektion aber gehört nicht zur Wirklichkeit.«
»Wirkliches kann geschaffen werden«, sagte Simon.
»Stimmt«, gab Hano zu. »Aber ebenso kann Wirkliches vernichtet und Unwirkliches wirklich gemacht werden. Wenn es nun doch übernatürliche Wesen gäbe? Wie würde das zu deiner Theorie passen?«
»In die Lage, daß ich mir diese Frage stellen müßte, werde
ich nie kommen.«
»Hoffen wir’s.«
Der Phönizier wandte Simon sein verlebtes Gesicht zu. Das rötlichbraune Licht der Kohlenpfanne ließ die Falten hervortreten, die Zynismus, Fatalismus und Gutmütigkeit aufgeworfen hatten. Schließlich sagte Hano: »Nun gut.«
Er stand auf, ging durch den mit allerlei Gerumpel vollgestellten Raum, nahm einen Kessel aus einem Regal und einen Schlauch Wein aus einem anderen.
Bald breitete sich Kräuterduft von dem Kessel aus, in dem
der Alte über der Kohlenpfanne Punsch für den Gast zubereite
te.
»Du wirst mir helfen«, sagte Simon.
»Alexander schuldet mir einen Gefallen. Aber er begleicht seine Schulden auf merkwürdige Weise, und ich wäre normalerweise nicht so dumm, ihn an die eine zu erinnern.« »Was hast du für ihn getan?«
»Den Griff eines Dolches mit schwarzen Opalen besetzt.« »Was für ein Gefallen!« lachte Simon.
Hano knurrte, sagte aber leutselig: »Weißt du nicht, was das bedeutet? Er kann den Kontakt mit Eisen oder all den Metallen, deren Kraft auf den Körper einwirkt, nicht vertragen. Schwarzer Opal ist einer der wenigen Steine, die den Kraftfluß verhindern.« »Und?«
»Alexander hat eine Schwäche. Eisen schadet ihm.«
»Hätte ich ein solches Geheimnis, würde ich den Mann töten, der es kennt«, sagte Simon nachdenklich.
»Nicht, wenn du Alexander wärst und jener Mann ein Günst
ling von Olympias.« » Du kennst Königin Olympias?«
»Sie wünscht, daß ich lebe, um sie mit weiteren Geheimnissen vertraut zu machen.«
»Finstere Geheimnisse, wie ich glaube, wenn die Geschichten über sie nur zur Hälfte wahr sind.«
»Keine dieser Geschichten enthüllt ihre wahre Natur.«
»Hantiert sie während dieser Beschwörungen wirklich mit
Schlangen?«
»Ja … auch schwarze Ziegen sind dabei.«
Simon stieß einen Fluch aus.
Hano reichte ihm einen Becher heißen Wein. Er trank und sagte: »Ich brenne darauf, den Gottkönig zu treffen … wie kannst du mir helfen?«
»Ich gebe dir einen Brief und ein Geschenk für Alexander mit. Aber sei auf der Hut, mein Junge. Sei auf der Hut.«
2. Kapitel
Ohne es sich eingestehen zu wollen, beunruhigte Simon die Vorstellung von einer übersinnlichen Welt aus Göttern und Geistern. Unter anderen Umständen wäre er ein streitbarer Atheist geworden. Aber statt dessen hatte er seine Meinung stets (so gut es ging) zurückgehalten, nie darüber diskutiert und schließlich fast völlig verdrängt.
Als er den goldenen Palast
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