Der Eroberer
Er war in Appeltofts Labor in Genf. In einer Ecke des Raumes, abseits des Podestes, lungerten ein paar Techniker herum. Die Zeitmaschine ruhte jetzt wieder auf dem rauhen Holzpodest; ihre drei durchsichtigen Stäbe hatten die ursprüngliche Ausrichtung angenommen.
Mit steifen, schmerzenden Gliedern und staubverdreckt rückte File im Sessel hin und her. Appeltoft eilte auf ihn zu und half ihm eifrig und beglückt beim Aufstehen.
»Sie sind auf die Minute pünktlich wieder da! Das war ein wahrhaft perfekter Testflug … aus unserer Sicht.« Er schnippte mit den Fingern. »Brandy für File! Sie sehen geschafft aus, Max. Kommen Sie, machen Sie sich erst einmal sauber. Danach können Sie mir alles erzählen …«
File nickte und lächelte stumm. Es war fast perfekt … doch ihm war gar nicht so recht klargeworden, wie gut er die neue Sprache erlernt hatte.
Appeltoft redete in der zungenbrecherischen Sprache der Yulk.
Inseln
Schmeling kam zurück ins schummrige Wohnzimmer und ließ seinen stämmigen, beweglichen Körper in dem vor mir plazierten Lehnsessel nieder.
»Entschuldigen Sie die Unterbrechung.« Er hatte mich für kurze Zeit allein lassen müssen, um einen Telefonanruf zu beantworten.
»Sie sind offenbar bei bester Laune«, sagte ich, denn seine
Augen strahlten vor Vergnügen.
»In der Tat«, sagte er. »Das bin ich.«
Zu weiteren Auskünften schien er nicht bereit zu sein; also ließ ich es dabei bewenden.
Abrupt wechselte er das Thema und schenkte mir ein knappes Lächeln. »Nun, was macht Ihr Soziologenkreis?« »Er bewegt sich zur Zeit im Kreis«, antwortete ich scherzhaft. »Im Augenblick interessiert mich ein Fall besonders. Es handelt sich um eine Person, die aufgrund ihres sozialen Umfelds, familiären Hintergrunds, Intelligenzquotienten und so weiter in eine ganz bestimmte Kategorie zu passen scheint. Aber das tut sie nicht. In ihrem Denken und Verhalten zeigt sie alle klassischen Symptome eines unterprivilegierten Slumkindes aus zerrüttetem Elternhaus. Dabei stammt sie aus ganz entgegengesetzten Verhältnissen.«
An meiner Arbeit war Schmeling allem Anschein nach kaum interessiert. Allerdings schnappte er ein Detail meiner Ausführungen auf und gab dem Gespräch eine andere Wendung. »So? Sie glauben also wirklich, daß sich all diese oberflächlichen Einflüsse tiefgreifend auf ein Individuum auswirken?« »Normalerweise tun sie es. Für mich sind diese Einflüsse alles andere als oberflächlich. Sie spielen im Leben eines Menschen eine zumeist entscheidende Rolle.«
Er lächelte mir gönnerhaft zu. »Als ebenso oberflächlich erachte ich die sogenannten Erbanlagen. So etwas gibt es nach
meiner Auffassung nicht.«
»Das erstaunt mich aber«, antwortete ich spöttisch. Schmeling liebte es, Diskussionen anzuzetteln, in denen er aus Spaß am Argumentieren einen dogmatischen Standpunkt einnahm. Das eigentliche Thema interessierte ihn dabei kaum. Solche Übungen waren oft sehr unterhaltend. Deshalb ging ich auf ihn ein und vertrat eine ebenso dogmatische Gegenposition. Schmeling winkte mit der Hand ab. »Wir sprechen vom Erbgut als vermeintlichem Faktum, und wir sprechen von der gegenseitigen Erfahrung als vermeintlichem Faktum. Ich frage mich nur, wieviel unserer Erfahrung wird tatsächlich geteilt?« »Die gesamte«, erwiderte ich spontan.
Schmeling nickte bedächtig und sah mich dann mit übertriebenem Ernst an. »Es fällt uns allzu leicht, der menschlichen Psyche bestimmte Muster anzulegen, denn die Menschen sind sich in vielen nebensächlichen Merkmalen durchaus ähnlich. Ich glaube allerdings, daß wir diese Muster der Bequemlichkeit halber als Erklärung akzeptieren. Viel mühseliger wäre der Versuch, die unendliche Vielfalt und Komplexität menschlicher Erfahrung in angemessener Weise zu erfassen. Ich spreche von einer Vielfalt, die so groß ist wie die Anzahl der Menschen auf dieser Welt. Jeder Mensch ist psychisch wie physisch eine Besonderheit. Einmalig, individuell.«
»Individualität existiert nicht«, widersprach ich. »Es gibt lediglich kleinere Unterschiede im Verhalten. Das ist alles.« »Ich behaupte, die oberflächlichen Ähnlichkeiten, die wir ausmachen, verleiten uns zu einem falschen Bild der menschlichen Psyche. Aber es gibt Tiefen, mein Freund, die wir noch nicht ausgelotet haben.« Und mit einem triumphierenden Unterton in der Stimme fügte er hinzu: »Wie würden Sie den für dieses Jahrhundert nachweisbaren Zuwachs an schizophrenen Fällen erklären? Und kein
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