Der Eroberer
«
»Gebt ihr den Trank«, befahl Rolfe und blickte Ceidre ins Gesicht. Der Schmerz in ihren Augen krampfte ihm den Magen zusammen. Wie konnte das törichte Weib Ceidre das antun, die ihr doch nur helfen wollte?
Ceidre verabreichte ihr das Pulver in einem Becher Wasser aufgelöst und murmelte tröstende Worte dazu. Bald entspannte Tildie sich und sank in einen benommenen Halbschlaf. Rolfe beobachtete Ceidre, die sich entschlossen ans Werk machte und ihre Hand ohne Zögern in die Öffnung der Frau schob. Tildie stöhnte vor Schmerz auf.
Ceidre drehte das Kind behutsam, Schweißtropfen standen ihr auf der Stirn. Rolfe tupfte ihr mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn, ehe er ihr in die Augen lief.
»Da«, rief Ceidre erleichtert. »Ich habe es geschafft. Das Kind hat sich gedreht. Es wird bald kommen.«
»Gut gemacht«, sagte Rolfe leise.
Sie hob den Blick. Seine Augen leuchteten warm. Rasch wandte sie sich wieder ihrer Aufgabe zu. Tildies Wehen waren nun stark genug, um das Kind herauszupressen. Ceidre griff nach dem Kopf des Kindes – und wusste, es war eine Totgeburt.
Es war an der Nabelschnur erstickt, die sich um seinen Hals gewickelt hatte.
Ceidre kämpfte mit den Tränen und wickelte das tote Neugeborene in ein Tuch. Rolfe nahm es ihr ab. »Ich begrabe es«, sagte John tonlos.
Tildie hob die schweren Lider. »Mein Kind?«
Ceidre zögerte. Rolfe sprach an ihrer Stelle. »Das Kind hat nicht überlebt. Es ist im Mutterleib gestorben. «
»Nein!«
»Es tut mir leid, aber so ist es. Du bist jung und kräftig. Gott hat dir vier gesunde Kinder geschenkt und wenn es Sein Wille ist, wird Er dir ein weiteres schenken.
»Nein!«
Rolfe berührte Ceidre an der Schulter. »Es ist Zeit, dass Ihr geht. Ihr könnt nichts mehr für sie tun. Sie muss allein mit ihrer Trauer fertig werden.«
»Ich gebe ihr noch etwas zum Schlafen.«
»Nein!« kreischte Tildie und schaffte es, sich mühsam aufzurichten. »Nein! Ich will mein Kind! Gebt mir mein Kind!«
Ceidre nahm Tildies Hand. »Es tut mir leid, Tildie. Ich habe alles versucht … « Die Stimme versagte ihr. Wenn sie früher gekommen wäre, hätte sie das Kind vielleicht retten können.
»Mein Kind, mein armes Kind«, schluchzte Tildie.
John kniete sich neben seine Frau, und Ceidre kam mühsam auf die Füße. Sie wischte sich übers Gesicht, konnte kaum etwas erkennen, alles war verschwommen. Sie hatte getan, was in ihrer Macht stand. Wenn sie Tildie nur heute Nachmittag untersucht hätte, wenn sie nur früher gekommen wäre, hätte sie das Kind vielleicht retten können. Sie floh aus der dunklen, stickigen Hütte und atmete im Freien die kühle Nachtluft ein wie eine Ertrinkende. Und dann erst bemerkte sie, dass sie rannte. Sie rannte blind drauflos, ohne zu wissen, wohin.
Kapitel 15
Sie rannte über die frisch gemähte Wiese.
»Ceidre! Bleibt stehen!«
Er! Er war der letzte Mensch auf dieser Erde, den sie sehen wollte. Ceidre rannte weiter, stolperte, raffte sich auf und rannte weiter. Er rief wieder nach ihr. Sie wischte sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Erst am Waldrand blieb sie stehen, nach Luft ringend, ihre Lungenflügel brannten. Würde er sie nie in Frieden lassen?
Sie lehnte sich gegen den rauen Stamm einer Eiche, die Knie versagten ihr den Dienst; in ihrem Kopf drehte sich alles. Ceidre sackte zusammengekrümmt ins Gras, ein Schluchzen entrang sich ihrer gequälten Brust.
»Ceidre.«
Sie drehte das Gesicht zur Seite und sah seinen Fuß, zwang sich, sich aufzusetzen. »Lasst mich zufrieden.« .Ihre Stimme war tränenerstickt.
Rolfe stand vor ihr. Er sehnte sich danach, sie zu berühren, ihr den Schmutz vom Gesicht zu wischen, das Haar aus der Stirn zu streichen. »Kommt … kommt!« Sein vertraulicher Tonfall klang selbst in seinen Ohren fremd, als er sich bückte, um ihr aufzuhelfen.
Sie wich zurück. »Lasst mich in Frieden!« schrie sie gellend. »Ich will Euer Mitgefühl nicht! «
Hilflos ließ er die Arme sinken. »Du hast es, ob du es willst oder nicht. Ganz Aelfgar hat mein Mitgefühl. «
Sie wandte das Gesicht ab, wünschte, er würde endlich gehen, starrte auf ihre Hände, die sich weiß gegen die dunkle Erde abhoben.
»Lass uns zum Haus zurückgehen«, sagte Rolfe leise, beinahe bittend.
»Geht! Und Lasst mich allein.«
Er könnte sie zwingen, scheute sich indes, ihr wieder einen Befehl zu erteilen. »Willst du die Nacht hier draußen verbringen?« Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen können.
»Nein«,
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