Der Eroberer
musste der Freundin in ihrer Trauer und Not beistehen.
Zu ihrem Erstaunen traf sie Tildie nicht in der Küche an. Die Mägde sagten, der Herr habe ihr einen Tag frei gegeben, damit sie sich ausruhe. Nachdenklich ging Ceidre den Weg zum Dorf hinunter. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und leckte die letzten Tautropfen von den Grashalmen. Der laue Sommerwind trug den Geruch nach Schafen, Heu und frisch gebackenem Brot herüber. Hoch im Himmel zwitscherte eine Lerche, und eine Spottdrossel antwortete ihr.
Der Palisadenzaun der neuen normannischen Burg würde noch heute fertig werden, dachte Ceidre beim Näherkommen. Der erste Stock des Burgturms war bereits eingerüstet. Eine Zugbrücke spannte sich über den Graben, das frische Holz schimmerte hell in der Sonne. Eine Gruppe Männer stand dort und arbeitete an den Fallgittern. Ceidre sah den Normannen.
Er trug nur Hosen und Schuhe. Sein nackter Oberkörper glänzte goldbraun in der Sonne. In seiner zerzausten blonden Lockenmähne brach sich das Licht und ließ es golden glänzen.
Für einen Normannen trug er das Haar zu lang, dachte sie. Es wuchs ihm bis in den Nacken, den seine Landsleute auszuschaben pflegten. Selbst kurz geschnitten würde sein widerspenstiges Haar sich nicht glatt in die Stirn legen, wie die Normannen es trugen.
Er drehte sich um und blickte in ihre Richtung. Ceidre errötete. Waß war nur in sie gefahren, stehenzubleiben und ihn anzugaffen? Er wischte sich die Hände an seinen muskelbepackten Schenkeln ab und näherte sich ihr. Ceidre wünschte, nicht stehengeblieben zu sein, doch nun war es zu spät. Sie hob das Kinn, drückte den Rücken durch.
»Guten Morgen«, grüßte er.
Ein seltsames Gefühl durchrieselte sie. Er stand halbnackt vor ihr, breitschultrig, die mächtige Brust mit blondem Kraushaar bewachsen, in dem Schweißperlen glitzerten, mit schmaler Mitte und schmalen Hüften. Die Muskelwülste seiner Schenkel zeichneten sich deutlich unter der Hose ab, sein Geschlecht wölbte sich unter dem eng anliegenden Stoff. Ceidre zwang sich, ihm ins Gesicht zu sehen. Seine Augen glühten.
»Sieh mich nicht so an, Mädchen«, sagte er leise. »So sündig und aufreizend.«
Sie wusste, dass sie noch tiefer errötete. »Wenn Ihr Euch so zur Schau stellt, müsst Ihr damit rechnen, dass jedes vorbeigehende Mädchen Euch betrachtet.«
»Ach wirklich? Stelle ich mich zur Schau?« Sein Lächeln verjüngte seine Züge. »Glaubst du, alle Mädchen schauen mich an?«
Ceidre blickte zu den Arbeitern am Fallgitter hinüber, um ihn nicht ansehen zu müssen. »Das wisst Ihr genau.«
»Wirke ich denn anziehend auf Frauen?«
Sie hielt den Atem an. »Nein, nur … anders.«
»Anders?«
»Merkwürdig!« fauchte sie mit funkelnden Augen. »Ihr seid größer als ein Baum, mächtiger als ein Berg, goldfarben und hell – ein höchst seltsamer Anblick!«
Er lachte. Sie wunderte sich über den vollen, melodischen Klang seiner Stimme. »Wir können nicht alle dunkel und klein sein wie die Sachsen«, entgegnete er mit blitzenden Augen.
»Eigentlich schade.«
»Nein, es ist gut so.« Er streckte die Hand aus, berührte ihr Kinn mit dem Zeigefinger und hob es sanft an. »Ich bin froh, dass du nicht klein und dunkel bist, Ceidre.«
»Wie Alice?
»Wie Alice.«
»Ob Ihr froh darüber seid oder nicht, bedeutet mir nichts«, zischte sie. »Ich muss weiter.«
»Wohin willst du? Ich habe angeordnet, dass du heute einen freien Tag bekommst. Du musst dich ausruhen.«
Sie beäugte ihn argwöhnisch. »Was liegt Euch an meinem Wohlergehen?«
Seine Augen funkelten. »Alles, was dich betrifft, liegt mir nah, Ceidre.«
Sie zog den Atem scharf ein.
»Du gehörst mir«, fuhr er weich fort. »Und ich achte auf das, was mir gehört.«
Ceidre vermutete, dass er auf ihren Status als Leibeigene ansprach. Alice hatte also die Lüge verbreitet. Wieso sollte er daran zweifeln? »Ich bin keine Leibeigene.«
»Willst du leugnen, dass deine Mutter dich geboren hat?«
»Nein, das will ich nicht!«
»Dann gehörst du zu Aelfgar, und folglich gehörst du mir. Ich wiederhole: Wohin gehst du?«
Sie ballte die Fäuste, um die Beherrschung nicht zu verlieren. Was kümmerte es sie, was er glaubte? Es war einerlei, was er über sie dachte, wofür er sie hielt. Er würde hier nicht lange den Herrn spielen können. Ihre Brüder würden lieber sterben, ehe sie Aelfgar dem Normannen überließen. Nein, sie wollte sich in Geduld üben, bis alles ausgestanden war. Bis der Normanne
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