Der Eroberer
besiegt war und sich zurückzog – oder durch das Schwert ihres Bruders starb.
Ein Frösteln durchflog sie.
»Ich besuche Tildie. Vielleicht braucht sie mich.«
»Nachdem, was sie dir gestern an den Kopf geworfen hat? Nach all den Beleidigungen gehst du zu ihr, als sei nichts gewesen?« fragte er ungläubig.
»Sie hatte starke Schmerzen und wusste nicht, was sie redet.«
»Du hast ein großes Herz.«
»Wollt Ihr mir verbieten, zu ihr zu gehen?«
»Nein. Geh ruhig. Aber nimm es dir nicht zu Herzen, wenn sie dich wieder beschimpft, Ceidre.« In seinem Tonfall schwang eine Warnung mit. »Wir beide kennen die Wahrheit, du und ich. Das reicht.«
»Seid Ihr Euch der Wahrheit so gewiss?« hörte Ceidre sich fragen.
Er lächelte. Seine blauen Augen wanderten zu ihren Lippen, verweilten, wanderten weiter über ihren Busen zu ihren Hüften. »Du besitzt die Macht der Verführerin, Mädchen. Die Macht der Frau über den Mann ist so alt wie die Götter.«
Sie vermochte den Blick nicht von ihm zu wenden, seine sinnliche, dunkle Stimme hielt sie in Bann. Und ein seltsames Glücksgefühl durchrieselte sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder. »Ich bin keine Verführerin.«
»Nein?« lachte er. »Dann bist du eine Hexe. Denn mich hast du verzaubert – das weißt du genau. «
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, »Nein«, entgegnete sie aufgebracht. »Nein! Ihr seid nur der Sklave Eurer Lüste. Und außerdem wollt Ihr meine Schwester heiraten!«
Sein Lächeln schwand. Seine Augen wurden hart. »Wenn ich ein Sklave meiner Lüste wäre, würde ich dich hier auf die Erde werfen wie eine Bauernmagd und dich vor aller Augen nehmen.«
Ceidre errötete.
»Aber ich heirate deine Schwester in weniger als zwei Wochen.«
»Das wird niemals geschehen!« zischte Ceidre bitter.
»Du kannst mich nicht daran hindern«, warnte er. »So stark ist deine Macht nicht.«
Tränen der Wut brannten ihr in den Augen. »Ich werde Euch daran hindern, Normanne! Aber nicht, wie Ihr denkt – mit meiner Macht als Verführerin. Ihr irrt, wenn Ihr glaubt, ich will Euch für mich selbst! Mir geht es darum, Aelfgar zu schützen – vor Euch ! Und ich sterbe lieber, ehe den Tag erleben zu müssen, an dem Ihr wirklich Herr auf Aelfgar seid! «
»Du bist aber am Leben, Ceidre«, entgegnete er kalt.
»Und ich bin bereits Herr auf Aelfgar. Schlag dir also jeden Gedanken an Verrat aus dem Kopf! Ich warne dich.«
»Kann ich jetzt gehen … Mylord?« fragte sie spöttisch, blinzelte aber so heftig ihre Tränen zurück, dass ihr Hohn seine Wirkung verfehlte.
Rolfe bezwang seinen Zorn. »Geh, bevor ich wie ein unreifer Knabe handle und meine Lust an dir stille. Und vergiss meine Worte nicht.«
Ceidre versagte sich eine heftige Entgegnung, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los. Rolfe blickte ihr lange nach.
Kapitel 16
»Wie fühlst du dich, Tildie?«
Tildie, die ihren drei Hühnern und dem Hahn Futter streute, hob den Kopf. Die beiden Frauen sahen einander an.
»Es tut mir so leid, Tildie. Ich habe alles versucht«, erklärte Ceidre zaghaft. Tildies Augen füllten sich mit Tränen.
»Ich weiß. Mir tut es auch leid, weil ich so abscheuliches Zeug geredet habe. Ich habe es nicht so gemeint, Ceidre, wirklich nicht.«
Du hast es nicht so gemeint, dachte Ceidre bitter, aber du hast es gesagt. Wie konntest du nur? Doch sie behielt ihre Gedanken für sich und lächelte nur traurig. Noch vor kurzem wären die Frauen sich in die Arme gefallen, und alles wäre wieder gut gewesen. Nun aber stand eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. »Wie fühlst du dich?« wiederholte Ceidre.
»Ganz gut, nur ein bisschen matt.«
Die beiden wechselten noch ein paar Worte. Was gestern geschehen war, hatte eine Kluft zwischen ihnen erzeugt, die nicht zu überbrücken war. Ceidre verabschiedete sich bald und ging wieder, wanderte ziellos durch die Gegend und versuchte an nichts zu denken..
»Ceidre?«
Beim Klang von Albies Stimme, Edwins engstem Vertrauensmann, blieb Ceidre beinahe das Herz stehen. Sie schnellte herum. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck bei seinem Anblick. Er war als ein einfacher Leibeigener gekleidet und nicht wie ein adeliger Lehensmann. Sie bezähmte ihren Drang, ihm um den Hals zu fallen. »Albie!
Bringst du Neuigkeiten?« fragte sie leise, gehetzt.
»Lass uns weitergehen«, schlug Albie vor. Er war so alt wie sie, war als Sechsjähriger als Pflegling nach Aelfgar gekommen. Sie waren zusammen
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