Der Eroberer
verhext, im wahrsten Sinne des Wortes.
Er durfte seinen König nicht hintergehen. Er war Wilhelms treuester und wichtigster Befehlshaber, und er kannte seine Pflicht, er wusste, was Ehre und Treue bedeuteten. Seit zehn Jahren diente er seinem Lehnsherrn nach bestem Wissen und Gewissen. Wenn er den König betrog, betrog er sich selbst. Wie konnte er Wilhelm die Treue halten und zugleich Ceidre schützen?
Wenn er aber ihre wahre Identität preisgab, drohte ihr eine noch härtere Strafe -möglicherweise sogar der Tod.
Rolfe befand sich in einem quälenden Gewissenskonflikt, er ahnte drohendes Unheil. Wo würde es enden, wenn er sie weiterhin beschützte, sie, die Verräterin? Wo war die Grenze zwischen ihrem Hochverrat und seinem?
Seine schlafende Gemahlin lag neben ihm. Er hatte ihre Erleichterung gespürt, als er ihr eröffnete, er habe nicht die Absicht, die Ehe zu vollziehen. Rolfe fühlte sich angewidert, nicht nur von Alice, sondern von seinem eigenen Verhalten. Noch vor einem Monat hätte er diese Ehe vollzogen, ob er seine Gattin sympathisch gefunden hätte oder nicht. Mittlerweile stieg Zorn gegen sie in ihm hoch, wann immer er an ihre Schadenfreude, ihre Genugtuung über Ceidres Schmerzen dachte.
Er hatte sich geschworen, Ceidre nicht zu berühren, und diesen Schwur wiederholte er nun. Und wenn er sie nicht berühren durfte, musste er sein Verlangen nach ihr bezwingen und abstellen. Aber wie? Das war wirklich leichter gesagt als getan.
Zum Teufel mit der Frau, dachte er zum hundertsten Mal. Begriff sie eigentlich nicht, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte? Begriff sie nicht, wie gefährlich es war, sich in königliche Händel einzumischen? Wenn Wilhelm Befehl erteilte, sie zu hängen, konnte Rolfe nichts, aber auch gar nichts tun, um ihren schönen Hals zu retten. Oder spürte sie gar, welche Macht sie über ihn, Rolfe, hatte? Hoffte sie, er würde ihretwegen seinem König die Treue brechen?
Handelte sie deswegen so leichtfertig und tollkühn? Wenn sie schon Hochverrat beging, hätte sie wenigstens dafür sorgen müssen, dass nicht alle Welt sie als Verräterin durchschaute!
Zum ersten Mal nagte kalte Angst an Rolfes Eingeweiden, stieg ihm gallbitter hoch. Nie in seinem Leben hatte er die von Gott gegebene Ordnung in Frage gestellt, nie in seinem Leben hatte er sich um die Gefühle einer Frau gekümmert, ob sie litt, sich freute, ob sie glücklich oder unglücklich war. Nie in seinem Leben hatte er an seiner Treue zu seinem König gezweifelt. Er war der Gefolgsmann des Königs. Sein treuester Vasall. Wenn dieser Teil seines Lebens nicht mehr existierte, wer, zum Teufel, war er dann?
Du bist Rolfe von Warenne, ermahnte er sich streng, Rolfe der Gnadenlose, Graf von Aelfgar – und du bist König Wilhelms erfolgreichster Befehlshaber … Er konnte keinen Schlaf finden.
Irgendwann war er wohl doch eingedöst. Zuerst dachte er, seine Gemahlin habe ihn mit einem leisen Wimmern geweckt. Plötzlich war er hellwach, horchte gespannt ins Dunkel. Alice lag schlafend neben ihm. Dann hörte er das klägliche Wimmern wieder, wie von einem verängstigten Kind. Und Rolfe wusste, dass das Weinen nicht von einem Kind kam, sondern von einer Frau, der Hexe, die seine Träume verfolgte. Er war aus dem Bett gesprungen, ehe er im Grunde wusste, was er tat.
Sie schluchzte.
Rolfe rannte zur Tür, voll böser Ahnungen. Sie hatte Schmerzen, hätte Fieberträume. Auf dem Korridor ver harrte er, hörte ihr Stöhnen. Er spähte in ihr Zimmer. Ceidre zuckte zusammen, schlug im Traum um sich. Sie wurde von den nämlichen Schreckensbildern heimgesucht, die ihn verfolgten – sie erlebte ihre Züchtigung im Traum noch einmal.
Rolfe ging in sein Gemach zurück und rüttelte Alice unsanft an der Schulter. »Wacht auf«, sagte er. »Alice, wacht auf.«
Alice blinzelte schlaftrunken. »Was ist los?«
»Geht zu Eurer Schwester.«
Sie setzte sich auf. »Was?«
»Geht zu Eurer Schwester. Weckt sie. Sie hat einen bösen Traum. Und seht nach, ob sie Schmerzen hat! Geht schon! «
Alice furchte unmutig die Stirn. Dann stand sie wortlos auf, legte den Umhang um die Schultern. Rolfe, der eine Kerze angezündet hatte, folgte ihr bis zur Schwelle des Söllergemachs. Alice rüttelte Ceidre ebenso unsanft, wie Rolfe sie geweckt hatte. »Vorsichtig«, warnte Rolfe hinter ihr. »Sie hat Schmerzen.«
Alice biss sich auf die Lippen, schluckte eine schneidende Entgegnung hinunter. »Ceidre, wach auf. Wach sofort auf.«
Ceidre hörte Alice
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