Der Eroberer
Burghof ein.
Rolfe erteilte seinen Männern Anweisung abzusitzen und- ritt direkt zu Wilhelms Zelt. Ein Knappe nahm sein Pferd in Empfang, ein zweiter rannte los, um seine Ankunft zu melden. Wilhelm hatte sich mit seinem Halbbruder Odo, einem seiner mächtigsten Edlen, seit er ihm Dover übereignet hatte, sowie dem Sachsen Ealdred, den er zum Bischof von York ernannt hatte, zu einer Besprechung zurückgezogen. Es war allgemein bekannt, dass Odo es auf das reiche Bistum abgesehen hatte, und Rolfe vermutete, dass sein Wunsch sich bald erfüllen würde – eher früher als später.
Wilhelm trug eine bodenlange sandfarbene Tunika mit grün besticktem Gürtel, um seine breiten Schultern wallte ein purpurfarbener Samtumhang. Erfreut, Rolfe zu sehen, eilte er ihm entgegen.
»Steht auf, Mann«, rief er, als sein Vasall sich auf ein Knie niederließ. »Auf! Und Lasst die unnötigen Förmlichkeiten. Wo ist der Kerl? Ich will dem verräterischen Schwein ins Gesicht spucken! «
Rolfe erhob sich. Kein Bote hätte schneller sein können als er. Im Übrigen scheute er sich, einen seiner Getreuen Wilhelms Zorn auszusetzen. »Morcar ist entkommen, Messire«, berichtete er und blickte seinem König unverwandt ins Gesicht.
Wilhelm stand einen Moment starr, ehe er losbrüllte, gotteslästerlich fluchte und in seinem maßlosen Zorn den Tisch umwarf, von dem Odo und Ealdred sich erhoben hatten. Wutschnaubend wandte der König sich an die beiden Getreuen. »Hinaus, hinaus!« brüllte er, die Augen traten ihm aus den Höhlen, sein bärtiges Gesicht hatte sich dunkelrot verfärbt. »Nein, du bleibst!« donnerte er in Odos Richtung, der sich zum Gehen gewandt hatte.
Ealdred duckte sich hastig unter dem Zelteingang hindurch und enteilte.
Wilhelm wandte sich an Rolfe. »Erklärt Euch!«
»Der Gefangene floh während des Hochzeitsmahls. Als seine Flucht entdeckt wurde, war es zu spät, ihn zu verfolgen. Ich stehe zu Eurer Verfügung, Messire.« Rolfe beugte erneut das Knie.
Wilhelm tobte, schrie, fluchte und wanderte rastlos auf und ab. Odo hielt sich schweigend im Hintergrund.
Schließlich blieb der König vor Rolfe stehen und blickte zornfunkelnd auf sein geneigtes Haupt. »Ich fasse es nicht«, sagte er ruhiger, nachdem er seinen gefürchteten Jähzorn wieder in der Gewalt hatte. »Ihr seid mein bester Befehlshaber. Wie konnte das passieren? War es Verrat? Wurde der Wachtposten bestochen?«
Rolfes Eingeweide zogen sich zusammen. »Der Wächter bekam plötzlich Bauchkrämpfe und musste seinen Posten kurz verlassen. Er wurde umgehend aus meinen Diensten entlassen. Eine härtere Bestrafung erschien mir nicht angebracht.«
»Steht auf, damit ich Euch in die Augen sehen kann«, befahl Wilhelm und fuhr fort, während Rolfe sich erhob.
»Wurde ihm Gift gegeben?«
»Ja, Messire.«
»Verflucht.« Wilhelm schlug die Faust in die Handfläche. »Diese Sachsen sind eine Brut Giftschlangen. Aber ich werde sie zermalmen, ja, zerquetschen wie Läuse!« Seine schwarzen Augen durchbohrten Rolfe. »Ich gehe davon aus, dass der Verbrecher, der diesen Hochverrat beging, gefasst wurde. «
Rolfes Herz krampfte sich zusammen. »Ja, Messire.«
»Ich will Einzelheiten hören«, forderte Wilhelm ungeduldig. »Wieso zögert Ihr?«
»Es war eine Frau, eine Leibeigene. Sie gab dem Wachtposten Gift und verhalf Morcar zur Flucht. Sie hat ihre Strafe bekommen.«
»Was heißt das? Sie wurde gehängt, nehme ich an!«
Rolfe begegnete dem Blick des Königs. Ein Stich der Angst durchbohrte ihn, doch nicht Angst um seine Person.
Der Augenblick war gekommen. Er durfte seinen König nicht belügen. »Sie wurde ausgepeitscht, Messire. Sie wird nie wieder Verrat begehen.«
Wilhelm blinzelte verständnislos. »Habt Ihr den Verstand verloren? Diese Sklavin verhalf dem Anführer der letzten Rebellion zur Flucht – und wurde dafür lediglich ausgepeitscht? Was hat das zu bedeuten, Rolfe?«
Nun müsste er dem König preisgeben, wer Ceidre wirklich war. Rolfe blickte seinem König unverwandt in die Augen. Weder sein Blick noch seine Stimme verrieten seinen inneren Aufruhr. »Hoheit, sie ist eine Sklavin – meine Sklavin. Ihr habt meine Entscheidungen bislang nie in Frage gestellt. Ich ließ sie bestrafen. Sie steht unter Bewachung. Ihr Tod würde die Untertanen zu weiterem Verrat ermutigen, daher hielt ich eine solche Strafe nicht für angebracht. Ihr Tod hätte die beiden Anführer der Rebellion überdies dazu verleitet, persönliche Racheakte zu verüben. Ich habe
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