Der erotische Fremde
weisen konnte, könnte er einen seiner Günstlinge auf den Thron der AI Jawadi setzen und behaupten, dieser sei der von Sultan Hafzuddin zu seinem Nachfolger ernannte rechtmäßige Thronerbe. Wie sollte Ashraf dann das Gegenteil beweisen?
Angesichts einer solchen Bedrohung musste er verhindern, dass die Rose in Ghasibs Hände gelangte, koste es, was es wolle. Was für ein Glück, dass die Fluglotsen streikten. Andernfalls wäre sie sicher schon auf dem Weg nach Bagestan.
Die meisten Passagiere hatten sich mittlerweile auf ihren Plätzen niedergelassen. Einige waren allerdings schon wieder aufge standen, um sich auf den Weg ins Zugrestaurant zu machen. Der Zug hatte Paris bereits hinter sich gelassen und fuhr nun durch sonnenüberflutete Felder und Wiesen.
Im nächsten Waggon fanden auch Fred und Mariel zwei Sitzplätze, neben zwei arabischen Frauen im schwarzen Chador.
„Aber wir haben nur ein Ticket", gab Mariel zu bedenken, als sie sich einander gegenübersetzten.
„Wir müssen eben hoffen, dass der Zug nicht voll besetzt ist.
Vielleicht haben manche ihn verpasst, weil zu viel Verkehr war", sagte Fred.
Um sie herum fingen die Leute an, ihre Picknickkörbe hervor zuholen. Partystimmung breitete sich aus, und es duftete nach frischem Brot, Tomaten, Käse und Salami.
„Oh, bin ich hungrig!" entfuhr es Mariel, als sie aus dem Augenwinkel die Familie auf der anderen Seite des Mittelganges beobachtete.
Maman wickelte gerade zwei köstlich duftende goldbraune Baguettes aus, brach sie in Stücke und verteilte sie an die beiden Kinder. Papa balancierte derweil ein Schnittbrett auf den Knien und begann, routiniert eine Salami aufzuschneiden.
„Meinst du, unsere Barschaft reicht für eine Tasse Kaffee?"
Fred holte die paar Münzen, die sie aufgesammelt hatten, aus der Tasche. Es reichte nicht. Lächelnd schob er sie wieder in die Tasche.
Mariel wurde es ganz übel, als sie daran dachte, wie unendlich lang die Fahrt werden würde ohne etwas zu essen. Mit einem solchen Zug dauerte es zehn bis zwölf Stunden bis Nizza. Und ihr Magen teilte ihr jetzt schon mit, dass das Frühstück mehrere Zeit alter zurücklag.
Sie musste unbewusst zu den Leuten hinübergestarrt haben, denn Maman legte ein paar Scheiben Tomate auf ein sorgfältig mit Olivenöl beträufeltes Stück Baguette und reichte es mit einer leise gemurmelten Anweisung einem ihrer Kinder. Das Kind drehte sich zu Mariel um.
„Maman sagt, ob Sie das haben möchten?" Es hielt Mariel das Baguettestück hin.
Mariel war viel zu hungrig, um sich zu zieren. „Ja, gern!" rief sie begeistert und nahm das Sandwich.
„Vielen Dank!"
Maman und Papa nickten ernst und widmeten sich wieder ihrem Picknick. Mariel brach ihr Sandwich in zwei Teile und reichte Fred eines davon.
„Non, non!" rief Maman und bedeutete ihnen, dass sie im Begriff sei, für Fred auch eines zu machen.
Und dann reichte Papa ihnen sein Brett mit der aufgeschnitte nen Salami über den Mittelgang.
Innerhalb weniger Minuten entstand eine freundliche, familiäre Stimmung zwischen den beiden Gruppen. Auch die arabischen Frauen trugen dazu bei. Sie sprachen kaum französisch, aber sie nickten freundlich und lächelten und teilten ihren Proviant mit ihnen.
Mariel kaute hungrig. Zwischen den einzelnen Bissen erzählte sie, wie sie von den Straßenkindern ausgeraubt worden seien, und deutete auf ihre Bluse voller Kaffeeflecken.
„Nur die Fahrkarten haben sie nicht erwischt!" rief sie schlau und wedelte mit ihrem Ticket herum.
„Und jetzt sind Sie unterwegs ohne einen Pfennig und ohne Gepäck? Aber wohin wollen Sie gehen?
Was werden Sie tun?" rie fen Maman und Papa entsetzt.
„Mein Bruder hat eine Yacht in Cannes", erklärte Fred rasch, als Mariel ratlos zu stottern begann.
Maman und Papa musterten Fred. Offenbar hatten sie genug Fantasie, sich vorzustellen, wie er ohne gelbes Haar und Ohrringe aussähe. Sie glaubten ihm.
„Grünes Haar?" wiederholte Hai.
„Das einzige Schmetterlingstattoo, das wir im Gare de Lyon ausmachen konnten, gehörte zu einem Mädchen mit grünem Haar und gepiercter Nase."
„Na ja, bei Mariel ist alles möglich. Wahrscheinlich hatte sie ihre Gründe. Welche Richtung hat sie genommen?"
„Sie ist in den Zug nach Nizza gestiegen, verfolgt von einem Mann."
Hai setzte sich kerzengerade auf. „Kannst du ihn beschreiben?"
„Tief gebräunt, gelb gefärbtes Haar, Tätowierungen, Augenbrauenpiercing. Er soll nach ihr geschrien haben wie ein verlassener Lover. Sie
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