Der erste beste Mann: Wenn die Braut sich traut (German Edition)
berührte sie unerwartet tief, und zu ihrem Missfallen traten ihr Tränen in die Augen, als sie an die alte Schottin dachte, die das Kleid so liebevoll angefertigt hatte. Jede einzelne Perle war mit der Hand aufgenäht. Shelly sah ihre Tante vor sich, die ebenso groß und schlank wie sie gewesen war und das Kleid getragen hatte. Sie erinnerte sich an ihren Onkel John, der ein sehr entschlossener Mann gewesen war, und stellte ihn sich vor, wie er groß und stark neben Milly stand. Sie konnte nachempfinden, dass diese beiden, die so unterschiedlich gewesen waren, sich dennoch so sehr geliebt hatten.
Einen langen Moment sprachen weder Shelly noch Jill ein Wort. „Hast du das Kleid schon einmal angezogen?“, fragte Jill schließlich.
Shelly schüttelte heftig den Kopf. Sie wollte nicht, dass Jill ihr ihre plötzliche sentimentale Anwandlung anmerkte. „Himmel, nein, aber du kannst es gern tun, wenn du magst.“
„Ich glaube nicht, dass ich an deiner Stelle hätte widerstehen können. Allein es zu sehen, lässt mich schon wünschen, selbst eine Braut zu sein.“
„Es gibt doch Ralph“, meinte Shelly spöttisch. Jill traf sich schon seit einigen Monaten mit Ralph, einem Computerprogrammierer, aber Shelly konnte beim besten Willen nicht verstehen, was ihre Freundin an diesem Mann fand.
Jill blickte sie verwirrt an. „Das Kleid ist für dich, nicht für mich.“
„Aber ich will es nicht.“ Jedenfalls nicht, seit sie das Kleid genauer betrachtet und sich eingestanden hatte, dass es ein Traum war. Ein Traum, der sie bewegte, der aber nichts mit ihr zu tun hatte. „Vielleicht war das Kleid ja ursprünglich für dich bestimmt“, versuchte sie zu scherzen. Vielleicht war Tante Milly ja ein wenig verwirrt gewesen, und es war Jill, die sie in ihrem Traum gesehen hatte. Letztendlich waren Tante Millys Augen auch nicht mehr das, was sie mal waren. „Weiß deine Mutter von dem Kleid?“
„Das steht auf einem anderen Blatt.“ Shelly stöhnte. „Mom ruft mich jeden Tag an, seit das Kleid angekommen ist. Sie will wissen, ob ich schon jemand Bestimmten getroffen habe.“
„Und was hast du ihr gesagt?“, fragte Jill und warf Shelly einen skeptischen Blick zu. Shellys Spott machte sie stutzig.
„Was gibt es denn schon zu erzählen?“, erwiderte Shelly gereizt.
„Nun, du hättest Mark erwähnen können.“
„Mark?“, wiederholte Shelly und zuckte dann gleichgültig die Schultern. „Ich habe in diesen Tagen nicht viel an ihn gedacht.“ Die Wahrheit war, sie hatte versucht, nicht an ihn zu denken. Denn selbst wenn er an ihr interessiert gewesen wäre, und er hatte deutlich genug gemacht, dass er das nicht war, konnte sie sich keine zwei Menschen vorstellen, die weniger zusammengepasst hätten als er und sie. „Ich habe ihn seit Samstag nicht mehr gesehen, und ich bezweifle, dass ich ihn jemals wiedersehen werde.“
„Bist du dir dessen sicher?“
„Absolut.“
„Nun, dann dürfte es dir ja nichts ausmachen, das Kleid einmal anzuziehen“, erklärte Jill entschieden.
„Ich … ich weiß nicht.“ Shelly biss sich auf die Lippen. Sie hatte den Drang, das Kleid anzuziehen, als würde sie sich damit etwas beweisen wollen. Doch was? Dass ihr das Kleid etwas sehr Wichtiges bedeutete, oder dass es ihr unwichtig war? Obwohl sie noch zögerte, begann sie unwillkürlich, sich auszuziehen. Sie konnte sich ihren plötzlichen Eifer, das Kleid auf der Haut zu spüren, ebenso wenig erklären, wie die ständig wachsende Anziehungskraft, die es auf sie ausübte.
Das Kleid rutschte leicht über ihre Hüften. Sie wandte sich um, damit Jill es zuknöpfen konnte, und trat dann vor den Spiegel.
„Shelly“, flüsterte Jill, und fast ehrfürchtig trat sie einen Schritt zurück. „Mein Gott, du siehst … du siehst hinreißend aus, absolut umwerfend.“
Das gleiche Gefühl hatte Shelly auch, während sie ihr Spiegelbild betrachtete … und trotzdem. „Irgendetwas fehlt“, sagte sie. „Irgendetwas macht es nicht vollkommen.“
„Oh nein“, widersprach Jill. „Es ist genau richtig. Es ist so, als wäre das Kleid für dich gemacht worden.“
Shellys Stimme war nur ein Flüstern. „Mag sein, aber mir fehlt etwas.“
3. KAPITEL
Shelly versuchte, die Tür zum Finanzamt zu öffnen, und kämpfte dabei mit der großen Schachtel auf ihren Armen, in die sie alle Rechnungen und Belege gestopft hatte, die sie für die Buchprüfung zu brauchen glaubte. Sie drückte die Schachtel mit dem Knie gegen die Wand und hatte so
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