Der erste Marsianer
Verband umwickelt.
Die fachmännische Art und Weise, wie dieser Verband gewickelt war, bewirkte seltsamerweise eine weitere Beruhigung. Man kümmerte sich um sie. Der Tod, der sie so gewaltsam bedroht hatte, war noch einmal zurückgewichen.
Sie begann zu glauben, daß sie sich in einer chirurgischen Klinik befinde. Wahrscheinlich hatte man sie in aller Eile auf den Operationstisch gebracht.
Sie war lebendig, aber nun begann sie es als seltsam zu empfinden, daß sich niemand um sie kümmerte. Sicherlich würde man sie nicht hier auf diesem Tisch sich selbst überlassen.
Und schon kam der Zorn. Und weil die Angst noch immer ein dunkler Vorhang im Hintergrund ihres Bewußtseins war, hatte der Zorn eine unnatürlich heftige und unvernünftige Form.
Mit dem Verstreichen der Minuten nahm der Zorn allmählich wieder ab und verwandelte sich in Unzufriedenheit. Wenn sie in einem Bett gewesen wäre, hätte sie ruhig liegenbleiben und den weiteren Verlauf der Ereignisse abwarten können. Aber es war unmöglich, auf diesem flachen, harten Tisch zu bleiben.
Wieder hob sie den Kopf. Und ganz langsam, indem sie ihr Gewicht auf dem rechten Arm ruhen ließ, richtete sie sich zu einer sitzenden Haltung auf.
Nichts geschah. Diesmal blieb der Schmerz aus. Offenbar war es wichtig, sich nicht zu rasch zu bewegen.
Sie saß eine Weile auf der Tischkante, ließ die Beine baumeln und sah sich in der phantastischen Umgebung pochender menschlicher Herzen um.
Sie begann sich zu fürchten. Es war unwirklich, diese Reihen ruhig schlagender Herzen, jedes in seinem Glasbehälter, jedes mit einer entnervenden Lebendigkeit funktionierend.
Zitternd ließ sich Virginia vom Tisch gleiten. Sie stand still, hielt sich mit der Rechten am Tisch fest und wartete auf einen Schwächeanfall.
Er blieb aus. Es war eine angenehme Überraschung für sie, daß ihr Körper noch Kraft hatte. Sie blickte wieder umher. Bis auf seine unnatürliche Einrichtung war der Raum völlig leer. Aber am meisten beunruhigend fand sie jetzt, daß sie seit ihrem Erwachen noch keinen Menschen gesehen hatte. Wenn dies eine chirurgische Klinik war, und wenn man sie erst vor kurzem operiert hatte, dann hätte längst jemand kommen und nach ihrem Befinden sehen müssen …
Sie ging langsam durch eine der schmalen Passagen, warf aber nur flüchtige Blicke auf die Doppelreihe der Herzen. Die große Menge dieser Organe beängstigte sie. Am Ende des Raums war eine Tür. Das Schloß und eins der Scharniere waren schwer beschädigt. Doch die Tür ließ sich leicht öffnen, und Virginia sah eine Treppe vor sich, die zu einer weiteren Tür hinaufführte.
Sie stieg hinauf, getrieben von einem Gefühl der Dringlichkeit, einer Oberzeugung, daß sie dieser Phalanx geräuschlos pulsierender Herzen entkommen müsse.
Die zweite Tür war aus Metall. Auch ihr Schloß war beschädigt worden, obwohl im zerschlagenen und verbogenen Schlüsselloch ein Schlüssel steckte.
Sie öffnete die Tür und trat hinaus auf einen Dschungelpfad. Nicht weit vor ihr schien eine grelle tropische Sonne auf eine freie Hügelkuppe. Sie stieg langsam weiter, erreichte die Kuppe und stand verblüfft über das, was sie sah.
Virginia Mention unterbrach ihren Bericht. Ihr Mann hatte sie auf das Bett gelegt, und aus dieser Position blickte sie zu ihm auf. Er stand neben ihr und starrte auf sie herab.
„Aber du bist nicht tot. Du bist hier bei mir, lebendig und in Sicherheit.“
Sie sagte verzweifelt: „Du verstehst nicht, Norman. Du – verstehst – nicht.“
„Sprich weiter, Liebes“, erwiderte Professor Mention ruhig. „Was sahst du, das dich verblüffte?“
Sie war auf einer Insel, einer kleinen grünen Insel, überwuchert von tropischem Dschungel und umgeben von einem blauen Ozean, der sich nach allen Seiten hin bis zum Horizont erstreckte.
Die Sonne, noch hoch im Himmel, war ein gutes Stück über ihren Zenit hinaus; ihre Hitze war lähmend. Sie verursachte Virginia Übelkeit.
Sie wandte sich nach der Tür um, durch die sie gekommen war. Sie erwartete ein Gebäude zu sehen, aber es war keins da.
Unterholz und hohe Bäume standen wie eine verfilzte Mauer, wo das Gebäude hätte sein sollen. Selbst die offene Tür war halb unter Kriechgewächsen und Schlingpflanzen verborgen.
Es roch stark nach verfaulenden Pflanzen, nach feuchter Modererde, heißem Laubwerk und Blüten.
Virginia, die allein unter dem einsamen, grellen Himmel stand, fühlte sich plötzlich von der unvernünftigen Angst
Weitere Kostenlose Bücher