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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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mit den schweren dunkelroten Blüten, die sich in die Ecke des Innenhofes schmiegte, ließ sie in Frieden. Zwischen den Margeriten hatte sich Schöllkraut und Quecke ausgebreitet. Das leuchtende Orange der Ringelblumen hatte sie aus einem unerfindlichen Grund zornig gemacht. Rittersporn hatte sie noch nie leiden können. Und überhaupt, die Zeit für Blumen war vorbei, und essen konnte man sie auch nicht. Eine Nachbarin hatte ihr Kohlsetzlingegeschenkt und Endiviensalat, in einem Tontopf fand sich Samen für Spinat. Verbissen und mit gesenktem Kopf hatte sie gearbeitet, bis alles gepflanzt war. Paula hatte ihr von der Bank am Brunnen kopfschüttelnd zugesehen, aber kein Wort gesagt. Anne konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass die alte Frau Not litt. Nach allem. Beinahe wäre sie ihre Schwiegermutter geworden.
    Anne sah nach oben und erschrak. Vor ihrer Wohnungstür machte sich jemand an dem Schloss zu schaffen.
    »Was tun Sie da?«, rief sie aufgebracht.
    Der Mann fuhr herum. Es war der Hausmeister, der sich im Hinterhof neben der Kastanie eine Baracke gezimmert hatte. Die Verteidigung des schwer beschädigten Hauses vor unerwünschten Eindringlingen war mittlerweile sein einziger Lebenszweck.
    »Da sind Sie ja endlich wieder! Beinahe hätte ich Ihnen ein Schloss eingebaut. Dann wären Sie vor verschlossener Tür gestanden. Sie können nicht Hals über Kopf abreisen und die Wohnung wochenlang unbewacht lassen!«
    »Das geht Sie gar nichts an, was ich kann oder nicht. Ich musste bei meiner Schwiegermutter auf dem Land aushelfen. Dort sind fleißige Hände gefragt.« Anne erschrak über die Härte in ihrer Stimme und fuhr einschmeichelnd fort. »Wenn wir alle zusammenhalten und anpacken, ist bald alles wie früher.«
    »Wir in der Stadt tun auch etwas, so ist es nicht, dass nur auf dem Land gerackert wird. Es gibt schon wieder Gas, manchmal jedenfalls, wenn uns die Preußen nicht alles wegheizen«, brummelte der Hausmeister.
    Anne strich sich die Strähne aus der Stirn. Paula hatte ihr die Haare geschnitten, ein bisschen schief, aber praktisch und noch kürzer.
    »Und eine neue Frisur haben Sie auch!«
    »Ist Ihnen das aufgefallen?« Anne stellte den Rucksack neben der Tür ab und lehnte sich an die Wand neben dem Treppenabsatz.
    »An Ihnen entgeht mir nichts. Das rote Halstücherl ist auch fesch, zu dem schwarzen Kleid. Haben Sie mir fürs Aufpassen etwas Schönes mitgebracht? Vielleicht eine Forelle? Man lässt uns Städter praktisch aushungern. Als hätte es uns nicht bereits am schlimmsten getroffen während der Luftschlacht.«
    »Kirschen habe ich dabei. Ich bringe Ihnen nachher eine Schüssel runter. Und Strumpfhosen, aber die passen Ihnen nicht.«
    Sie lachten.
    »Ach Sie!« Er räusperte sich. »Gut, dass Sie nach dem Rechten schauen. Manchmal hab ich richtig Angst, dass dieses Gschwerl unser Haus komplett okkupiert. Flüchtlinge werden es auch von Tag zu Tag mehr. Als wäre München nicht gestraft genug. Und dieser Amerikaner ist hin und wieder aufgetaucht.«
    »Bill?! Was wollte er denn? Hat er etwas vorbeigebracht?«
    Anne hatte schon befürchtet, ihren Gönner nie wiederzusehen. Bereits im Juni hatte er eine Andeutung gemacht, dass er sie gerne einmal in München träfe, wenn ihm sein Dienst die Möglichkeit dazu ließe. Sie würde ihn schon um den Finger wickeln und noch einen Sack mit Fahrradschläuchen aus ihm herausbetteln. So einen gutmütigen Menschen wie ihn hatte sie noch nie kennen gelernt.
    »Ist der überhaupt ein Amerikaner? Ich mein nur, so gut wie der Deutsch spricht. Jetzt brauchen’s nicht gleich rot werden. Ich will gar nicht wissen, wie Sie sich mit ihm verständigen.«
    Sie zwängte sich mit dem Rucksack an dem Hausmeister vorbei in die Wohnung und ging, ohne wie üblich die Schuhe auszuziehen, in die Küche. Bill ging ihn nichts an. Was bildeteer sich eigentlich ein? Sie würde sich von niemandem etwas vorschreiben lassen. Auf dem Tisch standen vertrocknete Blumen in einer Vase. Was für eine reizende Geste von Bill. Hinter der rauen Schale verbarg sich also ein Kavalier der alten Schule … Doch von einem Schlag auf den anderen wurde ihr bewusst, von wem die Blumen in Wirklichkeit waren. Sie lehnte sich von innen gegen die Tür. Margeriten. Die weiße Margerite auf der Schwelle zum Hof. Nicht Bill hatte sie gesucht, sondern Martin! Der Mörder ihres Verlobten.
    Sie packte die Vase mit beiden Händen und warf die Blumen aus dem Fenster. Einige verfingen sich in den Blättern der

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