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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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Kastanie. Martin. Die Wochen auf dem Land hatte sie jeden Gedanken an ihn verdrängt. Ihr Herz raste. Sie wollte nichts mehr damit zu tun haben. Doch die Bilder waren sofort in ihrem Kopf. Wie er auf dem Hof stand mit der unförmigen Unterhose. Wie er auf der Bank schlief mit offenem Hemd. Wie er sie mit sanftem Druck beim Tanzen geführt hatte. Wie er im Bett vor ihr lag, in ihrem und Leopolds Bett. Sie war sich sicher, ihm nie mehr begegnen zu wollen. Den Mörder ihres Verlobten mit in die gemeinsame Wohnung zu nehmen – einen Hitzschlag musste sie im Juli gehabt haben. Die schlimmsten Vorwürfe hatte sie sich nach ihrem überstürzten Aufbruch gemacht.
    Verwirrt ließ sie sich auf einen Stuhl sinken. An der Küchentür klopfte es.
    »Ich hab hier noch einen Brief für den Leopold. Scheint etwas Wichtiges zu sein. Etwas Amtliches. Nicht mal die Toten lassen sie in Ruhe.«
    Der Hausmeister sollte endlich verschwinden. Natürlich. Martin und Leopold. Der Mörder und sein Opfer. Würden die beiden sie ihr ganzes Leben verfolgen? Ihr war heiß. Sie riss sich das rote Tuch vom Hals.
    »Vom Finanzamt. Die haben es immer besonders wichtig.Ich leg ihn vor die Tür«, ergänzte er von außen. Eine Minute stand der Hausmeister unschlüssig im Flur und verließ dann pfeifend die Wohnung. »Kirschen«, hatte Anne gesagt. Es zahlte sich eben aus, auf seine feschen Nachbarn aufzupassen.
    Anne wartete, bis seine Schritte im Treppenhaus verklungen waren, bevor sie die Tür öffnete und den Brief aufhob. Die Mahnung an Leopold Obermair, seine Steuern bis zum 31. Juli zu bezahlen, musste sie dreimal lesen, bevor die Ungeheuerlichkeit in ihr Bewusstsein drang. Leopold Obermair, sinnlos gestorben am letzten Tag des Krieges, sollte Steuern zahlen! Annes Gefühlsaufruhr entlud sich im tief sitzenden Groll gegen das Finanzamt, das ihr schon früher nur Steine in den Weg gelegt hatte. Es reichte, ein für alle Mal. Sie bückte sich nach dem Halstuch und knotete es wieder um den Hals. Denen würde sie es zeigen … allen, denen vom Finanzamt und diesen Bills und Martins und Leopolds! Sie meinten wohl, sie könnten mit ihr umspringen, wie es ihnen gerade gefiel!
    Sie warf noch einen Blick auf den Briefkopf des Schreibens. Die zuständige Behörde war nicht weit. Sofort würde sie sich auf den Weg machen.
     
    Anne atmete tief ein, bevor sie sich mit süßlicher Freundlichkeit an die Beamtin wandte.
    »Ich habe heute eine Benachrichtigung für Leopold Obermair aus Penzberg zugestellt bekommen. Dass er seine Steuern zahlen soll.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Leopold Obermair aus Penzberg. Ich bin gleich gekommen, um das von Angesicht zu Angesicht zu klären. Wissen Sie überhaupt, an wen Sie so eine Frechheit schicken?« Nervös wedelte sie mit der Aufforderung in der Luft herum.
    Durch das offene Fenster drang Baulärm. Die Beamtinauf der anderen Seite des schweren Schreibtisches hob beschwichtigend die Hände von der riesigen Schreibmaschine.
    »Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal. Das wird schon seine Richtigkeit haben. Sind Sie die Ehefrau?«
    »Nein, ich komme im Auftrag von Paula Obermair. Das ist die Mutter.«
    »Und wie stehen Sie zu Herrn Obermair?«
    »Ich war seine Verlobte, aber wir wollten nicht – das geht Sie gar nichts an.« Anne schluckte.
    »Gefallen oder vermisst?«
    »Ermordet.«
    »Das wurden sie alle.« Die Beamtin seufzte, betrachtete mit schief gelegtem Kopf die gerahmte Fotografie auf ihrem Schreibtisch, bekreuzigte sich und wandte sich wieder Anne zu. »Wir haben alle unser Päckchen zu tragen. Haben Sie einen Totenschein oder ein anderes amtliches Dokument? Irgendeinen Nachweis für sein Ableben?«
    »Einen Beweis braucht man, ja, ohne Beweis kann man niemanden verurteilen«, murmelte Anne gedankenverloren. »Sie haben vollkommen Recht. Nicht einmal einen Mörder kann man ohne Prozess hinrichten, erst recht nicht, wenn man mit ihm eine Nacht durchgetanzt hat …«
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte die Beamtin in Sorge, Anne könnte in ihrem Büro in Ohnmacht fallen. Auftritte wie diese war sie gewöhnt. »Und Sie sind allein seitdem?«, fragte sie vorsichtig. »Setzen Sie sich einen Augenblick.«
    Anne zögerte, bevor sie entschlossen nickte. Die Beamtin stand auf, schob Anne einen Holzstuhl von hinten in die Kniekehlen und nötigte sie mit sanftem Druck auf die Schultern sich hinzusetzen. Vorsichtshalber lehnte sie die Tür zum Flur an, um Hilfe rufen zu können.
    »Leopold Obermair«, begann

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