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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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Anne, »wurde erhängt. Nachdem sie auf dem Sportplatz, hinten bei der Bichler Straße,den Hans Rummer und den Badlehner und den Boos Michel und den Sepp Dreher, den Höck Rupert und den Ludwig März und den Paul Schwertl erschossen haben, weil die eine neue Ordnung errichten wollten. Um eine neue Ordnung ging es ihnen immer. Vor allem im Wirtshaus.«
    »Wann war das?«, unterbrach die Beamtin sie.
    »Am 29. April.«
    »Diesen Jahres?«
    Anne nickte.
    »Sehen Sie, schon haben wir’s«, folgerte die Beamtin mit Bitterkeit in der Stimme, »Sie müssen die Ereignisse der alten Zeit zuschlagen. Jetzt haben wir die Demokratie.«
    »Am Abend haben sie dann die anderen erhängt: den Franz Biersack, die Gudrun Fleissner mit ihrem Mann, dem Xaver, ja die auch, den Albert Grauvogel wie den Johann Summerdinger, den Johann Zenk mit seiner Frau, der Theres. Alle an einem Abend, und ich war dabei und hab zugesehen. Wie beim Maibaumaufstellen habe ich aus dem Fenster zugesehen. Die haben mich nicht einmal beachtet. Hunderte waren es, allesamt vermummt. Bis auf einen. Und uns haben sie Zettel in die Hände gedrückt, damit wir wissen, woran wir sind. Verdammte Feiglinge, aber neue Stiefel anhaben.«
    »Sie meinen, die Mörder haben Ihnen den Steuerbescheid in die Hand gedrückt? Das ist in der Tat dreist.«
    Anne erhob die Stimme: » Warnung an alle Verräter und Liebesdiener des Feindes! Der Oberbayerische Werwolf warnt vorsorglich alle diejenigen, die dem Feinde Vorschub leisten wollen oder Deutsche und deren Angehörige bedrohen oder schikanieren – «
    Die Beamtin sprang auf und schloss die Tür.
    »Beruhigen Sie sich doch«, versuchte sie Anne zum Schweigen zu bringen. »Wenn uns jemand von den Amerikanern hört, denkt der noch, wir würden damit sympathisieren.«
    »Sie tun gerade so, als würde ich Sie anlügen. Ich war dabei, ich hab sie alle hängen sehen. Die Werwölfe waren es.«
    »Die gab es also doch? Von denen hat man öfter im Radio gehört. Das ist gut zu wissen, falls es noch mal einen Umsturz gibt.«
    »Die Mörder sind unter uns.«
    »Schön, schön. Aber ohne Totenschein sind mir die Hände gebunden. In solchen Zeiten könnte jeder kommen und jeden tot melden. Von wessen Geld sollen wir alles wieder aufbauen, wenn niemand mehr Steuern zahlt?«
    »Ich bin der Totenschein!«
    »Jetzt nehmen Sie sich nicht so wichtig! Ich habe sie nicht erhängt, Ihre Penzberger. Wir nehmen am besten alles zu den Akten, und dann gebe ich’s an die zuständige Stelle im Haus weiter. Wir bringen schon wieder Ordnung in die Sache. Es geht zunächst um den Steuerbescheid von dem Herrn Obermair, oder habe ich Sie falsch verstanden? Vermutlich liegt die Zuständigkeit sowieso in Penzberg.«
    »Nein, Leopold und ich haben hier in München gelebt. In der Barer Straße«, erklärte Anne. »Den Leopold hat es schon immer in die Stadt gezogen. Und mich auch. Ein Geschäft wollten wir eröffnen. Dann kam der Krieg. Die letzten Monate sind wir wieder aufs Land zurück. Bis sie ihn ermordet haben, am 28. April.«
    »Ruhe bewahren ist das Einzige, was wir tun können. Und die Toten in Frieden ruhen lassen«, versuchte die Beamtin erneut, sie zu besänftigen. Ihre Stimme klang dabei wie die des Pfarrers auf der Kanzel.
    »Amen. – Ja, das ist wahrscheinlich das Gescheiteste. Wenn man ruhig bleibt und allem nachforscht. Und dann die Schuldigen anzeigt. Und sie sich nicht ins Bett holt.«
    Die Beamtin hob beschwichtigend die Hände. »Das ginge wirklich zu weit. Sie lassen erst einmal das Schreiben hier,und ich kümmere mich darum. Sie hören wieder von uns in der Angelegenheit. Auf Wiedersehen.«
    »Ich danke Ihnen.« Anne war aufgestanden und zur Tür gegangen. In Gedanken sah sie Martin vor sich im Bett liegen. Er sollte sich nicht einbilden, dass sie jeden mitnahm. Nur weil er gut aussah! Sonst hätte sie ihn eigenhändig umgebracht. Das Brotmesser hatte sie an jenem Morgen schon in der Hand gehabt, um ihn niederzustechen, und es dann doch wieder unter der Spüle versteckt, bevor sie zu ihm zurück ins Schlafzimmer gegangen war.
    »Vorerst kann ich weiter nichts für Sie tun«, unterbrach die Beamtin ihr Sinnieren und beugte sich wieder über das Formular in ihrer Schreibmaschine.
    Nachdem Anne den Raum verlassen hatte, warf sie den Steuerbescheid für den verstorbenen Leopold Obermair in den Papierkorb und blickte noch einmal auf das gerahmte Foto. Von der Schreckensnacht in Penzberg hatte sie bereits im Mai gehört. Seufzend wandte sie

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