Der erste Tod der Cass McBride
versuchen.
So war ich.
Dad sagt immer, dass Menschen eine Auseinandersetzung erwarten. Alles andere erwischt sie unvorbereitet.
»Also geht es hier um zwei Nachrichten. Ich habe die eine geschrieben und David damit dazu getrieben, die andere zu schreiben.«
Schweigen.
»Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass David den Zettel zu Gesicht bekommen würde. Ich wollte ihn damit nicht verletzen«, erklärte ich.
»Versuch erst gar nicht, mir mit der Scheiße zu kommen.«
»Du verstehst mich falsch. Ich weiß, dass es David verletzt hat und dass das meine Schuld ist. Ich versuche nicht, mich rauszureden. Ich denke zurück an den Tag und mit all dem, was passiert ist, ändern sich die Dinge, weißt du.«
»Ja klar, ein paar Kleinigkeiten ändern sich.« In seiner Stimme lag Sarkasmus, aber auch Traurigkeit. Kyle stellte sich wirklich lausig dabei an, seinen Schmerz zu verbergen. »Ich habe ein paar Fragen«, sagte er.
»In Ordnung.«
»Komm mir bloß nicht blöd.« Er klang wie ein knurrender Hund.
»Wie du selbst gesagt hast: Du hast die Oberhand.«
»Wann hat er sich mit dir verabreden wollen?«
»Dienstag. Nein, Montag. Am Dienstag habe ich ... von ihm gehört.«
»Wie hat er es angestellt?«
Ich verstand die Frage nicht. Großer Gott, Kyle wusste, was David getan hatte. Er hatte es mir eben in grauenhaften Einzelheiten beschrieben.
»Ich verstehe nicht ...«
»Wie er dich um das Date gebeten hat, du Miststück. Wie hat er es angestellt? Wo? Was hat er gesagt?«
»Ach so.« Ich schloss die Augen und sah Davids Bild vor mir. »Es war in der Aula, kurz vor einem Kurs, den wir zusammen haben ... hatten.« Ich erzählte ihm, was mir noch von dem Gespräch in Erinnerung geblieben war. Den Teil mit dem Herumgezupfe am Ohrläppchen ließ ich aus.
»Was hast du ihm geantwortet?«
»Ich war nett. Vor allem, weil ich wollte, dass er bei der Wahl zur Prom Queen für mich stimmt. Ich habe ihm gesagt, ich sei total beschäftigt und dass ich mich bei ihm melden würde. Ich habe ihn angelächelt, als ob das tatsächlich im Bereich des Möglichen läge.«
»Und was dann?«
Die Finsternis und Kälte umschlossen mich. Wenn ich Kyle alles erzählt hatte, würde er dann den Luftschlauch herausziehen und gehen?
»Die Stunde hat angefangen.«
»Hast du da den Zettel geschrieben?«
»Ja«, antwortete ich. »Während dem Unterricht.«
Ich spürte und hörte ein Trommeln über mir. Auf mir. Bamm! Bamm! Bamm! Ich fuhr hoch und kratzte mit meinen zerschundenen Fingern am Deckel meines Sargs. Das Hämmern hörte nicht auf. Schneller. Härter.
»Was ist das? Was machst du da?«
Noch ein harter Schlag.
Kyles Stimme war angespannt und schroff. »Warum? Du hast ihn abgewiesen. Du hast ihn da stehen lassen. Warum musstest du noch diesen Zettel schreiben? Warum musstest du ihn so fertigmachen?«
»Ich weiß es nicht! Ich weiß nicht!«, schrie ich. »Hör auf damit! Was machst du da?« Die Erschütterungen und der Krach - ich konnte nicht ...
»Ich schlage mit der Schaufel auf dein Grab. Ich wünschte, es wäre dein Schädel. Sag schon! Sag mir, warum du diesen Zettel geschrieben hast.«
»Ich ...«
Ich begann zu schluchzen. Ich simulierte nicht, es kam aus dem tiefsten Inneren. Weil ich über Kyles Frage nachdenken musste. Ich sah Dads Gesicht mir gegenüber an seinem Schreibtisch, als er meinen König mit seinem König umstieß. Und wie verraten und ... klein ich mich gefühlt hatte.
»Es ist verquer, aber es ist wohl so, dass ich mich nur gut fühle, wenn ich jemand anderen runtermache. Ich weiß nicht, warum ich das tue. Ich hätte nie damit gerechnet, dass David den Zettel lesen würde. Auf diese Weise konnte ich mich größer fühlen, ohne dass es ihn tangiert.«
»Du bist ein Stück Scheiße.«
Ich seufzte, als mich weitere Erkenntnisse überkamen. »Warum sonst muss ich alle anderen in Stücke hacken, um mich als Ganzes zu fühlen?« Als ich das aussprach, wurde ich ruhiger. Heißt es nicht, die Wahrheit macht frei? War das hier jetzt die größtmögliche Freiheit, die ich erlangen würde? Scheiße, nein.
»Wie ist David an den Zettel gekommen?«, fragte Kyle.
Ich erzählte es ihm. Und erwartete einen Schwall an Beschimpfungen - irgendetwas, nur nicht das: einen Seufzer. Der Abscheu?
»Na, ist das nicht wieder typisch David? Als hat er nicht so schon genug Verletzungen einzustecken - nein, David muss herumwühlen und nach mehr suchen.« Er klang traurig und müde, aber es schwang auch etwas
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