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Der erste Verdacht

Der erste Verdacht

Titel: Der erste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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Gesicht Irene zuzuwenden. Sie war gezwungen, sich über den Tisch zu beugen, um seine Worte zu verstehen.
    »Vor ein paar Jahren war ich ein paar Mal mit einer Frau zusammen. Wir waren Nachbarn. Sie sah super aus und hatte einen … gewissen Ruf. Bei einem Krebsessen funkte es. Tja, das war’s dann. Sowohl ihr Mann als auch Agneta erfuhren davon. Sie zogen ein paar Monate später weg, und Agneta und ich gingen zur Familienberatung.«
    Er seufzte schwer und trank den letzten Schluck aus seiner Tasse. Irene starrte ihren langjährigen Freund an. Krister und sie hatten nichts von den Problemen ihrer besten Freunde geahnt.
    »Damals haben wir uns wieder zusammengerauft. Aber … dann passierte es wieder. Du weißt schon, dieser Gewerkschaftslehrgang vor zwei Jahren in Stockholm … dort traf ich eine Kollegin aus Gävle. Auch sie war verheiratet, und wir wollten einfach nur ein bisschen Spaß haben. Glaubte ich jedenfalls. Aber es zeigte sich, dass sie und ihr Typ gerade in Trennung lebten und sie vorhatte, sich einen neuen Mann zu krallen. Mich. Als ihr klar wurde, dass ich nicht interessiert war, geriet sie außer sich und rief Agneta an. Um es milde auszudrücken gab es ein Riesentheater! Wegen der Kinder haben wir es dann noch einmal versucht. Aber es hat sich nie wieder richtig eingerenkt. Und im Sommer gaben wir auf. Agneta hatte entdeckt, dass dieser Doktor und sie sich liebten. Sie wollte sich scheiden lassen. Es war schwierig, eine Wohnung zu finden, aber jetzt ziehen sie zusammen. That’s all!«, meinte er mit einer unbekümmerten Handbewegung, aber seine Augen verrieten etwas ganz anderes.
    Irene gelang es endlich wieder, etwas zu sagen. Sie stammelte:
    »Aber du … gab es einen Grund … warum warst du überhaupt untreu?«
    Er sah sie trotzig an. Irene konnte kaum glauben, dass das, was sie gerade gehört hatte, stimmte. Gleichzeitig stieg ein wohlbekanntes, irrationales Gefühl in ihr auf: Wut.
    »Jetzt kennen wir uns schon seit über zwanzig Jahren. Ich habe immer gesagt, dass du ein ehrlicher und vernünftiger Mensch bist. Und jetzt zeigt sich, dass du genauso bist wie alle Männer! Das Hirn streikt, wenn der Kleine das Sagen hat!«
    »Ich bin nun mal ein Mann. Und wenn du behauptest, dass alle Männer so veranlagt sind wie ich, dann müsste das auf Krister auch zutreffen.«
    Er war wütend und streitlustig. Jeglicher Kampfgeist verließ Irene so schnell, wie er gekommen war. Sie machte eine abwehrende Handbewegung.
    »Wir hören jetzt auf. Wir sitzen hier und streiten, obwohl wir keinen Grund dazu haben. Ich habe kein Recht, dich und dein Verhalten zu verurteilen. Es stimmt. Das geht nur dich und Agneta etwas an. Aber du musst verstehen, dass auch andere Menschen davon betroffen sind. Leute, die euch beide mögen.«
    Tommy wusste nicht, was er sagen sollte. Er ließ die Schultern hängen und beugte sich über seine leere Tasse. Dann richtete er sich auf und meinte: »Ich brauche noch eine Tasse. Dich brauche ich wohl gar nicht erst zu fragen.«
    Das Lächeln, das er ihr schenkte, glich eher einer kläglichen Grimasse. Irene versuchte, aufmunternd zurückzulächeln, merkte aber, dass ihr das ebenso wenig gelang wie ihm. Mit einer gewissen Zärtlichkeit sah sie ihm nach, als er auf die Kaffeekannen zustrebte.
    Widerstreitende Gefühle überschwemmten sie. Sie fühlte sich vollkommen ausgelaugt. Trotzdem war sie froh, dass er endlich geredet hatte. Jetzt wusste sie, was los war. Jetzt war klar, warum es soweit hatte kommen können.
    Warum hatte Tommy das Wohl seiner Familie für ein paar schnelle Nummern aufs Spiel gesetzt? Wegen der Spannung? Der Bestätigung? Um sich zu vergewissern, dass er immer noch attraktiv war? Oder war es wirklich so, dass die Lust jegliche Vernunft ausschloss?
    Tommy kam zurück und stellte die Tassen auf den Tisch. Er hatte auch zwei Punschteilchen gekauft.
    »Ich dachte, wir könnten was Starkes zum Kaffee brauchen«, meinte er.
     
    Sanna war wach, als sie das Zimmer betraten. Als sie sie erkannte, schaute sie demonstrativ aus dem Fenster. Also stellte Irene ihren Stuhl ganz einfach auf die Fensterseite des Bettes. Da Sanna jetzt beiderseits von Kripoleuten flankiert wurde, blieb ihr nichts anderes übrig, als an die Decke zu starren, um ihren Blicken auszuweichen. Ihren Fragen würde sie jedoch nicht entgehen.
    »Wir hoffen, Sie haben gut geschlafen und können uns nun dabei helfen, den Mörder zu fassen«, sagte Tommy leichthin.
    Sanna starrte auf die Deckenlampe aus

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