Der erste Verdacht
wirkte finster und verbissen. Wie immer, wenn das Reichskriminalamt, Rikskrim, zur Sprache kam, sah er rot.
»Alles Bürokraten!«, schnaubte er dann jeweils verächtlich. Irene hatte es schon aufgegeben, gegen seine Vorurteile zu protestieren, denn das verärgerte ihn nur.
»Findest du nicht, dass wir die Göransson informieren sollten?«, fragte Irene vorsichtig.
Anderssons Miene verfinsterte sich noch mehr. Bodil Göransson war die neue Provinzkripochefin. Sie hatte darum gebeten, fortlaufend unterrichtet zu werden. Zweifellos handelte es sich um einen äußerst Aufsehen erregenden Fall, und die Medien hielten aufmerksam Ausschau nach sensationellen Entwicklungen. Schließlich spielte sich die ganze Sache auch nicht in den üblichen kriminellen Kreisen ab. »Vergiss nicht, dass Antonio Bonetti in die Sache verwickelt ist«, hatte Irene mehrfach zu Andersson gesagt. Der Kommissar dachte eine Weile nach.
»Doch. Am Montag«, meinte er dann, nachdem er das Für und Wider abgewogen hatte.
Er lehnte sich zurück und sah Irene an.
»Ein Oberarzt mit einem unaussprechlichen Nachnamen hat hier angerufen und sich über euch beklagt. Ich glaube, ein Pole. Sagte was von Gestapomethoden und Amtsmissbrauch. Ich habe ihm gesagt, ihr hättet nur meine Anordnungen befolgt. Wir hätten den Verdacht, Sanna schütze einen Mörder, der, während sie geschwiegen habe, einen weiteren Mann ermordet habe. Wenn sie nicht bald redete, gäbe es noch weitere Opfer. Deswegen hätte ich euch dazu angehalten, die Daumenschrauben anzuziehen. Das hat dem Herrn Doktor das Maul gestopft«, meinte er grimmig.
Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem runden Gesicht aus, während er sich daran erinnerte, wie er den Arzt in die Schranken gewiesen hatte. Der Kommissar faltete seine dicken Finger auf dem Bauch und wirkte wie ein alter, frommer Probst, denn er war rund wie ein Käse.
»Welche Schlüsse lassen sich aus der Reaktion der süßen kleinen Frau Ceder auf die Nachricht vom Mord an Fenton ziehen?«, fragte er.
»Ich habe darüber nachgedacht. Sie reagierte ja ausgesprochen vehement, was übertrieben wirkt, falls ihr Verhältnis wirklich so förmlich war, wie sie es beschrieben hat. Daher glaube ich, dass ihre Darlegung der Verhältnisse nicht zutraf.«
Sie reichte ihm die Klarsichthülle mit den Fotos, die ihr Glen geschickt hatte. Andersson breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Unter dem ersten Bild stand: »Edward Fenton mit Ehefrau Janice und den Söhnen Victor, 9, und Albert, 7.« Er hatte einen Arm um die Schultern seiner bedeutend kleineren Gattin gelegt und lächelte strahlend in die Kamera. Vor ihnen standen zwei Jungen, beide genauso dunkelhaarig wie ihre Mutter. Die Familie stand auf einer Veranda oder einem Balkon, Meer und Palmen im Hintergrund. Janice Fenton war eine südländische Schönheit mit dunklem Haar, das ihr bis zur Taille reichte. Sie hatte ein hübsches Gesicht, markante Brauen und volle Lippen. Obwohl sie klein und schlank war, hatte sie Rundungen an den richtigen Stellen. Die Halskette aus Diamanten und die Riesensteine in ihren Ohrläppchen und an ihren Fingern ließen sie sehr amerikanisch aussehen.
Andersson spitzte die Lippen und pfiff lautlos.
»So soll ein richtiges Frauenzimmer aussehen! Das ist ein Rassew …«
Er unterbrach sich und sah Irene über den Rand seiner Lesebrille hinweg an. Sie hatte eine Ahnung, wie er den Satz hatte beenden wollen. Die schwache Röte, die sich auf seinen runden Wangen breit machte, ließ erkennen, dass er sich seines Fauxpas bewusst war. Irene tat, als hätte sie nichts gehört, und begegnete gelassen dem Blick ihres Chefs. Dieser blickte rasch zur Seite und zog das nächste Bild zu sich heran.
»Hier haben wir ein Porträt von Fenton«, sagte er übertrieben munter.
Dann warf er einen Blick auf das Papier, das er in der anderen Hand hielt.
»Und hier haben wir ein Bild von Fentons Leiche. Kopfschuss wie bei den anderen«, stellte er fest und legte das Foto rasch beiseite.
Edward Fenton war ein eleganter Mann gewesen. In der Tat richtig gut aussehend. Groß, blond, durchtrainiert, mit gleichmäßigen Gesichtszügen und einem sehr attraktiven Lächeln.
»Das ist der Mann, der in Paris auf mich geschossen hat«, sagte Irene und deutete auf das Porträt.
Ihr Chef sah sie über den Rand seiner Brille hinweg lange an.
»Bist du dir sicher?«, fragte er schließlich.
»Hundertprozentig!«
»Aber er war doch in London?« Irene schüttelte den
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