Der erste Verdacht
durch waren. Special Agent Hazel hatte sich nur höchst sporadisch etwas notiert. Irene wurde fast sauer, als sie bemerkte, dass diese, nachdem sie sich fast vier Stunden lang mit ihrem Englisch abgequält hatte, nicht einmal eine DIN-A4- Seite voll geschrieben hatte. Obwohl sie zugeben musste, dass die Aufmerksamkeit der Amerikanerin nichts zu wünschen übrig gelassen hatte. Wenn ihr etwas unklar gewesen war, hatte sie sofort unterbrochen und eine Frage gestellt.
Als sie mit allem durch waren, schaute der Kommissar auf die Uhr und sagte: »Jetzt essen wir zu Abend. Ich lade euch ein.« Irene wusste nicht, worüber sie am meisten staunte, darüber, dass der Kommissar alle einlud, oder dass er die Einladung in passablem Englisch über die Lippen brachte.
»Was haltet ihr vom Glady’s Corner?«, fuhr der Kommissar auf Englisch fort, aber deutlich in Richtung von Irene.
Es war ein Glück, dass sie bereits saß. Nicht genug, dass Andersson zahlen wollte, er lud sie auch noch in eines der feinsten Restaurants Göteborgs ein.
Sie hörte selbst, wie matt ihre Stimme klang, als sie erwiderte:
»Klar. Ich ruf nur schnell an und frag, ob sie einen Tisch für uns haben.«
Auf dem Weg zu ihrem Büro beschäftigte sie vor allem die Frage, ob der Kommissar wohl Sondermittel zur Bewirtung des Gastes aus den USA herausgeschlagen hatte.
Sie hatten Glück gehabt und für 20 Uhr einen Tisch bekommen. Das Essen war wie immer ausgezeichnet gewesen, und Lee Hazel hatte es in den höchsten Tönen gelobt. Das Elch- Carpaccio der Vorspeise und der gegrillte Dorschrücken des Hauptgangs waren zwischen ihren blendendweißen Zähnen verschwunden. Mit größtem Wohlbehagen hatte sie gekaut. Genau richtig zum Dessert hatte Irene eine lähmende Müdigkeit überfallen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihren Kopf in Glady’s Mousse au Chocolat gelegt und wäre eingeschlafen. Tommy und sie hatten keinen Wein getrunken, da sie noch fahren mussten. Der Kommissar jedoch hatte sich sowohl das Essen als auch die Getränke schmecken lassen.
»Mein Auto lasse ich vor dem Präsidium stehen und nehme ein Taxi. Schließlich haben wir nicht jeden Tag Besuch aus den USA. Skål!«, erklärte er fröhlich.
Lee Hazel hob ihr Weinglas und lächelte ihn an. Die Kerzen spiegelten sich in ihren dunklen Augen und in ihren langen, silbern lackierten Fingernägeln. Sie war wirklich eine schöne Frau. Irene fiel auf, dass die anderen Gäste des Restaurants zu ihrem Tisch herüberschielten. Am Nachbartisch hörte sie eine Frau flüstern: »Das ist dieses Supermodel Naomi Campbell!«
Irene und Tommy bedankten sich für den Abend und gingen gemeinsam Richtung Ausgang. Auf dem Weg schauten sie noch in die Küche und winkten Krister zu. Dieser sah von einem Hummer auf, den er gerade spalten wollte, und winkte ihnen mit dem großen Messer zu.
Bei der Morgenbesprechung wirkte Andersson erstaunlich ausgeschlafen. Fredrik hingegen war ungewöhnlich müde und abgekämpft. Er sah sonst morgens immer aus wie einer Reklame für Muntermacher entsprungen, was Irene wahnsinnig auf die Nerven ging. Zufrieden stellte sie fest, dass es ihm nicht gelungen war, seine Frisur zu stylen. Er sah aus, als käme er direkt aus dem Bett. Sogar das Polohemd vom Vortag trug er noch.
Diese Ermittlung hat uns wirklich alle mitgenommen, dachte Irene. Sie selbst hatte wie tot und absolut traumlos geschlafen, bis sie vom Lärm ihres Radioweckers aufgewacht war.
»Ich glaube, wir können sagen, dass unsere Kollegin, Special Agent Hazel, jetzt im Bilde ist. Sie hat angekündigt, uns über ihre Erkenntnisse aus Paris und London zu informieren. Bei näherem Nachdenken hat sie bisher noch kein Sterbenswörtchen darüber verlauten lassen. Heute erfahren wir hoffentlich mehr. Fredrik, du hast sie doch zum Hotel gefahren. Hat sie gesagt, wann sie kommen will?«, fragte Andersson.
»Special Agent Hazel wollte heute Morgen noch ein paar Telefongespräche mit dem FBI führen, um das eine oder andere zu vervollständigen. Sie kommt um die Mittagszeit«, teilte Fredrik mit.
»Was du nicht sagst. Aber in New York ist es doch sechs Stunden früher, das heißt, dass es dort jetzt halb zwei Uhr nachts ist. Es wird ihr nicht leicht fallen, auf der anderen Seite des Atlantiks jemanden zu erreichen«, meinte Andersson und lachte.
»Diese Stadt schläft nie«, entgegnete Fredrik, ohne eine Miene zu verziehen.
»Egal. Beim FBI und CIA ist natürlich immer jemand da, so viele Ganoven, wie die da
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