Der erste Verdacht
ein kleiner Einwand. Wenn sie vor dem offenen Kamin saßen, hatten sie doch wohl keinen totalen Überblick über den Weg? Und wenn sie von dort aus gewöhnlich die Aussicht aufs Meer bewundern, bezweifle ich, dass sie das letzten Montag ebenfalls taten. Schließlich regnete es in Strömen«, wandte sie ein.
»Ich war heute zu Hause bei ihnen. Die Sessel und der offene Kamin befinden sich in einem verglasten Anbau. Er hat Fenster in drei Richtungen. Der Kamin steht in einer Ecke. Zwei große Sessel stehen Richtung Fenster, also mit Meerblick. Der Weg verläuft höchstens fünfzehn Meter unterhalb des Hauses. Sie sehen vielleicht nicht jedes Auto, aber sie hören es mit Sicherheit. Im Übrigen sind der Onkel und seine Frau beide um die sechzig und wirken kerngesund. Sie sind weder taub noch verwirrt«, sagte Jonny.
»Aber Philip Bergman kann mit dem Auto gar nicht weggefahren sein, da es ganz offenbar nicht zurückkam. Zweifellos lag Philip ermordet im Haus«, beharrte Tommy.
»Es war nicht Philip, der mit dem Auto gegen acht wegfuhr. Es war der Mörder, der Philips Auto nahm, um damit in aller Gelassenheit den Tatort zu verlassen. Und er nahm nicht nur das Auto mit, sondern auch das Jackett. Im Regen und in der Dunkelheit fiel Rothstaahls Onkel nur das helle Jackett des Mannes am Steuer auf. Deswegen glaubte er, dass Philip fuhr«, meinte Irene.
»Das klingt in der Tat wahrscheinlich«, stimmte ihr Tommy zu.
»In diesem Fall sind wir dem Zeitpunkt der Morde schon näher gekommen. Irgendwann zwischen 19.30 Uhr und Punkt 20 Uhr.«
Die meisten nickten zustimmend, nur Jonny runzelte nachdenklich die Stirn.
»Das kann stimmen. Bleibt nur die Frage, warum der Onkel und die Tante die insgesamt vier Schüsse nicht gehört haben. Kann die Musik so laut gewesen sein, dass sie die Schüsse übertönte?«
»Schalldämpfer«, meinte Tommy.
»Weshalb glaubst du das?«, wollte Andersson wissen.
»Auch in Askim hat niemand irgendwelche Schüsse gehört. Wieso sollte der Mörder es auch riskieren, dass jemand was hört? Schalldämpfer. Kleine Pistole mit kleinem Kaliber mit Geschossen ohne Mantel, die sich stark verformen. Die Schüsse sofort tödlich. Wir haben es hier mit einem Profi zu tun«, entschied Tommy.
Irene tendierte dazu, ihm Recht zu geben. Eine großkalibrige Waffe war schwer und erforderte ein Holster, wenn sie nicht zu sehen sein sollte. Meist war sie dann als Ausbuchtung unter der Jacke zu erkennen. Eine Waffe mit kleinerem Kaliber war handlicher und ließ sich deswegen leichter unter der Kleidung verstecken.
»Was hatte Philip Bergman wohl in seiner Tasche, was der Mörder mitgenommen haben könnte?«, fragte Kajsa Birgersdotter.
Das war eine sehr berechtigte Frage, die sie in aller Eile fast vergessen hätten. Jonny warf Kajsa einen verärgerten Blick zu, und zwar aus dem einfachen Grund, dass er keine Antwort wusste.
»Keine Ahnung«, gab er schließlich widerwillig zu.
»Ich finde auch, dass Irene da eine wichtige Frage gestellt hat. Warum mussten sie sich hier in Göteborg treffen, wo doch beide in Paris wohnten?«, fuhr Kajsa fort.
»Dem sollten wir auf den Grund gehen«, sagte Tommy nickend.
»Wie schreitet deine Untersuchung über dieses Computerunternehmen voran?«, fragte Andersson und sah Kajsa auffordernd an.
»IT-Unternehmen. Danke, gut. Ich will mich morgen mit einem Journalisten treffen, der gerade ein Buch über den IT- Crash schreibt. In dem gibt es ein Kapitel über ph.com. Ich hoffe, dass er mir weitere Auskünfte geben kann.«
Irene und Tommy referierten kurz, was ihre Nachforschungen am Vormittag ergeben hatten. Wie erwartet beschleunigten die Berichte über die früheren Berührungspunkte aller Beteiligten den Puls der versammelten Ermittler.
»Bonetti und Rothstaahl haben in London zusammen undurchsichtige Geschäfte gemacht. Dort gab es noch eine zwielichtige Figur, den Norweger Erik Dahl, um den müssen wir uns noch kümmern. Philip Bergman, Sanna Kaegler und Thomas Bonetti haben ph.com aufgebaut und dann in den Ruin getrieben. Die Brüder Fenton und Kjell Bengtsson Ceder waren alte Freunde. Beide waren bei dem Segeltörn dabei, bei dem Ceders erste Frau vor sechzehn Jahren umkam. Vor einem Jahr hat Ceder dann überraschend Sanna Kaegler geheiratet. Jetzt hat es den Anschein, als hätten Philip Bergman und Joachim Rothstaahl gemeinsam irgendetwas geplant. Wo in diesem Spinnennetz aus Beziehungen findet sich nur die Erklärung für die drei Morde?«, fragte Irene ihre
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