Der erste Verdacht
wurde er gefoltert, bevor man ihn ermordete? Oder wurden die Finger erst nach dem Mord abgetrennt?«, fragte Fredrik.
»Das wissen wir nicht. Vielleicht beantwortet die Obduktion diese Frage. Aber das lässt sich so lange nach Eintritt des Todes vermutlich kaum noch feststellen. Die Leiche war schon stark verwest«, antwortete Irene.
Ein grinsender Totenkopf, der aus den Resten einer Peak- Performance-Jacke hervorschaute, tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Die Jacke war aus stabilem Nylon und relativ gut erhalten gewesen. Auch die Hose und die Schuhe hatten sich in einem guten Zustand befunden. Qualität zahlt sich aus, dachte Irene und verzog das Gesicht.
»Hingegen besteht kein Zweifel an der Todesursache. Zwei Schüsse in die rechte Schläfe. Eine Kugel befand sich noch im Schädel. Das Kaliber steht noch nicht fest, aber ich wette, dass es sich um Kaliber 25 handelt«, fuhr sie fort.
»Aber warum wurde er vor drei Jahren ermordet? Und warum mussten Ceder, Bergman und Rothstaahl plötzlich so viel später auch noch dran glauben?«, beharrte Birgitta.
»Wenn wir die Antwort auf diese Frage kennen, dann haben wir den Fall gelöst«, antwortete Tommy.
Marianne Bonetti wirkte ruhig und gefasst, als sie den Kriminalbeamten die schwere Eichentür öffnete. Ihre Augen hinter den dicken Brillengläsern waren jedoch verquollen und rot geweint. Die ältere Frau war sehr korpulent, was sie jedoch zum Teil mit einem gut geschnittenen dunkelblauen Kostüm kaschierte. Unter der Jacke trug sie eine cremefarbene Seidenbluse und eine Kette mit großen, rosa schimmernden Perlen. Ihr kräftiges Haar war schwarz gefärbt und zu einem riesigen Knoten hochgesteckt. Die Haarfarbe bildete einen starken Kontrast zu dem bleichen, stark geschminkten, schlaffen Gesicht. Ihr schweres Parfüm löste bei Irene Atemnot aus. Diamanten funkelten, als sie die Hände hob, um ihnen den Weg zu weisen. Schwerfällig führte sie sie in ein großes, hohes Zimmer, das mit teuren Designermöbeln in kühlem, nordischem Stil eingerichtet war. Die korpulente Dame passte nicht im Geringsten zu ihrem Wohnzimmer. Wahrscheinlich war es das Werk eines Innenarchitekten.
»Nehmen Sie doch Platz, mein Mann kommt gleich«, sagte sie.
In Anbetracht ihres fülligen Körpers klang ihre Stimme überraschend hell und mädchenhaft. Sie deutete auf zwei Sessel mit weiß und beige gestreiftem Leinenbezug.
Irene hatte ein paar Stunden zuvor bei den Eltern von Thomas Bonetti angerufen und mit der Mutter gesprochen. Sie hatte gefragt, ob sie zu einem Gespräch ins Präsidium kommen könnten. Marianne Bonetti hatte sie gebeten, stattdessen zu ihnen nach Långedrag zu kommen, da sie nicht die Kraft habe, das Haus zu verlassen, nachdem sie die Nachricht vom Tod ihres Sohnes erhalten habe.
Jetzt ließ sich die mollige Dame auf einen der Sessel sinken. Irene fiel auf, dass sie nervös ein Taschentuch in der Hand zerknüllte. Mit teilnahmsvoller Stimme sagte Tommy: »Wir bedauern natürlich außerordentlich …«
»Es ist besser, endlich Gewissheit zu haben«, fiel Marianne Bonetti ihm ins Wort.
»Das kann ich verstehen. Diese jahrelange Ungewissheit muss unerträglich gewesen sein«, erwiderte Tommy.
Sie nickte und schluckte.
»Wie konnte nur jemand … Thomas … war so lieb …«
Ihre Stimme versagte. In der folgenden Stille hörten sie, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Rasche Schritte näherten sich. Antonio Bonetti betrat das Wohnzimmer und kam auf sie zu. Sowohl Irene als auch Tommy erhoben sich, um ihn zu begrüßen. Er gab ihnen einen festen Handschlag, und Irene merkte, dass er etwas schwitzte. Der Staranwalt war einen halben Kopf kleiner als seine Frau und fast vollkommen kahl. Seine wenigen Haare hatte er über seinen sommersprossigen Schädel gekämmt. Sein Anzug war elegant, konnte aber den beginnenden Bierbauch nicht verbergen. Am Ringfinger trug er einen breiten Siegelring aus Gold, der zu der massiven Rolex an seinem Handgelenk passte. Antonio Bonetti war Anfang sechzig und immer noch einer der gefragtesten Strafverteidiger Schwedens. Nunmehr übernahm er nur noch Prozesse, die ihm die maximale Aufmerksamkeit der Medien garantierten und die er mit Sicherheit gewann. Er hatte über die Jahre an vielen Talkshows teilgenommen und den Zuschauern Zusammenhänge erläutert. Natürlich stets zum Vorteil seiner Mandanten.
»Habt ihr bereits mit dem Gespräch begonnen?«, fragte er und warf seiner Frau einen raschen Blick zu.
Seine
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