Der erste Verdacht
stellen musste, denn sie waren heikel. Sie entschloss sich, direkt zu sein.
»Ihre Mutter sagte, Thomas und Sie hätten als Kinder miteinander gespielt. Wie war er?«
Billy starrte wieder auf den Teppich, und sein Adamsapfel tanzte mehrmals auf und nieder, ehe er antwortete: »Er war fast fünf Jahre älter als ich, aber niemand wollte mit ihm spielen. Ich auch nicht, aber manchmal holte er mich ab. Er gab immer damit an, wie reich sein Vater sei und was er für tolle Sachen von ihm bekomme. Im Gegensatz zu mir, der ich keinen Vater hatte und außerdem arm war. Er war so einer, der immer andere mobbte. Das war seltsam, denn ich erinnere mich, dass er auch gemobbt wurde. Sie wissen schon, er war fett und trug eine Brille. Und dann bekam er immer einen Sonnenbrand. Er wurde immer ›die verbrühte Ratte‹ genannt. Das war das Einzige, was wir gemein hatten.«
Es lag Irene auf der Zunge zu sagen: Sie haben nicht nur genauso wenig Pigmente wie er, sondern auch dieselbe Haar- und Augenfarbe, aber sie beherrschte sich. Antonio Bonetti hatte heftig reagiert, als Billys Name gefallen war. Sie ertappte sich dabei, ihn durchdringend anzustarren. Er merkte das und rutschte verlegen hin und her.
»Billy, Ihre Mutter behauptet, nie jemandem erzählt zu haben, wer Ihr Vater sei. Wissen Sie es?«
»Nein. Es ist mir auch egal. Er hat neunundzwanzig Jahre lang nichts von sich hören lassen, und jetzt spielt es auch keine Rolle mehr.«
Die Enttäuschung, die in seiner Stimme mitschwang, entging ihr nicht.
»Sie erwähnte auch, Geld dafür erhalten zu haben, seine Identität zu verschweigen«, fuhr Irene fort.
»Das ist auch so etwas, womit sie mir seit Jahren in den Ohren liegt. Sie sagt, er sei verheiratet und reich. Das tut sie nur, um sich wichtig zu machen.«
»Glauben Sie? Haben Sie die Möglichkeit, die Einzahlungen auf ihr Konto zu überprüfen?«
»Ja. Ich kümmere mich um ihre Finanzen. Da gibt es keine unklaren Überweisungen. Aber …«
Er unterbrach sich und biss sich auf die Unterlippe.
»Was haben die Finanzen meiner Mutter mit dem Mord an Thomas zu tun?«, fragte er unfreundlich.
»Es könnte ein indirekter Zusammenhang bestehen«, antwortete Irene.
Das war eine Lüge. Die letzten Fragen zielten eigentlich darauf ab, herauszufinden, ob Thomas Bonetti einen Halbbruder besessen hatte, der Billy Hermansson hieß.
Seine Probleme mit dem Gewicht und die Sehschwäche hatte Thomas von seiner Mutter geerbt, aber die Haarfarbe von seinem Vater. Dieselbe Haarfarbe hatte auch Billy. Und er wurde auf dieselbe Weise kahl wie Thomas mit Anfang dreißig.
Billy betrachtete sie misstrauisch aus seinen hellen Augen und zuckte dann wieder mit den Achseln.
»Es gibt da etwas, worüber ich nachgedacht habe. Mehrmals hat sie Briefe ohne Absender erhalten. Normale, braune Umschläge. Mit der Schreibmaschine adressiert. Wobei sie jeweils … triumphiert hat.«
»Tja, es ist halt immer nett, Post zu bekommen …«
»Sie verstehen mich nicht. Meine Mutter bekommt nie irgendwelche Briefe. Nie schreibt ihr jemand. Abgesehen von der Person mit den braunen Umschlägen.«
»Haben Sie sie gefragt, wer der Absender ist?«
»Ja, aber sie lacht mich immer nur aus.«
»Wirkt sie dabei geheimnisvoll?«
»Ja.«
»Genauso, wie wenn Ihr Vater zur Sprache kommt?« Billy zuckte zusammen und sah sie scharf an.
»Vielleicht.«
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Er runzelte die Stirn, und Irene sah, dass es ihm Mühe bereitete weiterzusprechen.
»Wenn es stimmt, was sie über die Zahlungen meines … Vaters sagt, dann erhält sie sie mit größter Wahrscheinlichkeit in diesen braunen Umschlägen«, meinte er und atmete gleichzeitig aus.
»Glauben Sie, dass Sie noch einen dieser Umschläge finden könnten? Vielleicht hat sie einige aufgehoben«, meinte Irene.
»Ich kann mal schauen«, erwiderte er.
Irene war erleichtert. Sie hätte keine Lust gehabt, selbst den ganzen Müll im Haus zu durchsuchen.
»Gut. Hier ist meine Karte mit meiner Adresse und Telefonnummer. Falls Sie einen Umschlag finden, sollten Sie vorsichtig sein. Fassen Sie ihn nicht häufiger als nötig an und stecken Sie ihn in einen größeren Umschlag.«
»Wegen der Fingerabdrücke?«
»Genau.«
KAPITEL 15
Das Regenwetter hatte sich am Sonntagmorgen gelegt. Laut Wetterbericht sollten die letzten Tage im September richtig schön werden. Irene war zum Jiu-Jitsu-Training gefahren. Sie musste Zurückhaltung üben, denn sobald sie
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