Der erste Versuch
von dem aus man über eine Leiter wie in ein
Schwimmbassin ins Meer steigen konnte. Die Flut kam – an
diesem Strandabschnitt höchstens ein Tidenhub von 70
Zentimetern –, und ab und an leckte eine Welle über die
Felskante. Milan sah es an den flirrigen Reflexen, die das fahle
Licht des halben Mondes auf den Wasserschwapsen zeichnete.
Wenn man sich anstrengte, hörte man im Plätschern der
kleinen Wellen Musikfetzen, die vom nahen Festland
herüberdrangen. Das Meer war in dieser Nacht ausnehmend
ruhig, ein paar Lichter weit draußen, wohl auf einsamen
Hobby-Fischerbooten, bewegten sich kaum.
Gedanklich überschlug Milan noch einmal die realen
Chancen und das Risiko der Störmöglichkeiten, die er – er sah
zur Uhr – in wenigen Minuten dem Abgesandten des EinsatzTeams Creff unterbreiten wollte. Bei der Auswahl der
Vorschläge war er davon ausgegangen, dass sowohl
Langzeitwirkungen als, auch tagaktuelle Eingriffe in das
Baugeschehen in Frage kamen, Letztere allerdings sollten
tunlichst nicht nach Sabotage, sondern nach Schlamperei oder
Unerfahrenheit aussehen. Bei offensichtlicher
Fremdeinwirkung würden die Sicherheitsmaßnahmen
unweigerlich derart verstärkt werden, dass weitere Aktionen
praktisch auszuschließen wären.
Augenblicke dachte Milan an Ahmed Hassim, seinen
unmittelbar Vorgesetzen. Der würde freilich Schwierigkeiten
bekommen, und ein wenig bedauerte Milan dieses. Er fand den
Mann nicht unsympathisch und als Chef akzeptabel. Und er
hatte den Eindruck, dass sich zwischen ihnen durchaus eine
brauchbare kollegiale Partnerschaft entwickeln könnte. Oder
wie anders sollte man das Vertrauen werten, dass er, Milan,
Hassim während dessen gegenwärtigen Kurzurlaubs vertreten
durfte?
Milan lächelte. „Vertrauen! Was für ein antiquierter Begriff!
Eine Illusion in einer Gesellschaft, in der sich jeder selbst der
Nächste ist.“
Er dachte an die unterschiedlichsten Seminare während seiner
Ausbildung. Und stets hatte – unabhängig vom sachlichen
Inhalt – eine Rolle gespielt, anderen nur bis zu einem
gewissen, kontrollierbaren Grad zu trauen, sich in
Krisensituationen nur auf sich selber zu verlassen. Und
oberstes Gebot: sich nach allen Seiten und gegen alle
Eventualitäten absichern. „Jedermann macht seinen Job.
Hassim installiert Generatoren, errichtet Masten für das
Konsortium. Ich habe im Interesse der Agentur dafür zu
sorgen, dass das möglichst lange dauert. ,Keine Leichen’, hat
die Creff gesagt. Jemanden töten zu sollen – das könnte eine
Hemmschwelle sein…“
Milans bis dato träge fließende Gedanken registrierten einen
Impuls. „Wie würde ich…?“ Und schnell war er sich im
Klaren: „Es käme darauf an, ob ich, ich persönlich, davon
überzeugt bin, dass es unumgänglich ist, Notwehr natürlich
ausgeschlossen.
Und wenn man es dir – befehlen würde, Milan…?“ Seine
Gedanken kreisten. „Ich glaube, auch dann würde ich mich erst
entscheiden – nach gründlichem Abwägen… Zum Glück wird
es nicht so weit kommen. ,Keine Leichen’, hat sie gesagt…“
In das gleichförmige Plätschern der Brandung trat plötzlich
eine Sekunde lang ein Geräusch, als gösse jemand ein Glas
Wasser aus. Dem folgte ein schleifendes Schaben.
Milan fixierte den Uferstreifen, den er als Silhouette gegen
den dunklen Himmel gerade noch ausmachen konnte.
Neben der Leiter, deren Edelstahlgeländer kleine Reflexe
warf, gewahrte er einen rundlichen Gegenstand, der über die
Felskante ragte und sich vordem seines Wissens nicht dort
befunden hatte. Und da kam auch schon aus dieser Richtung
ein gedämpftes „Hallo“.
Ein wenig erschrocken holte Milan tief Luft. Dann antwortete
er hastig mit verhaltener Stimme: „Es sind vermutlich
fünfundzwanzig Grad, zum Baden angenehm.“
Aus dem Tonfall des Ankömmlings glaubte Milan
herauszuhören, dass dieser grinste, als er die Lösung ergänzte:
„Zum Glück gibt es in diesem Jahr wenig Seeigel.“ Dann
stemmte sich der Mann aus dem Wasser, schwang sich auf das
Felsplateau und setzte sich unmittelbar neben den Wartenden.
Im schwarzen Trikot verschmolz er scheinbar mit der
Umgebung. „Schieß los“, sagte er.
8. Kapitel
Die Überraschung, mehr noch, die Sensation war perfekt: Die
von Connan O’Bennet initiierte Bohrung im Cañon in der
Nähe der Station IV war in 27 Meter Teufe fündig geworden.
Nun, auf dem Planeten einen untermarsischen Hohlraum
aufzuspüren, war gewiss schon etwas Ungewöhnliches, äußert
überraschend jedoch,
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