Der erste Versuch
sagte sie leise, „dass ich dir auf die Nerven
falle.“ Sie fasste nach seiner Hand. „Wir hatten eine schöne
Zeit miteinander, aber das ist vorbei. Ich freue mich einfach,
dich wiederzusehn – in Freundschaft. Aber wenn dir mein
Hereinschneien Schwierigkeiten bereitet – wenn du nicht allein
lebst –, sag‘s, und ich bin weg. Freunde vertragen das.“ Sie
versetzte ihm einen leichten Rippenstoß. „Also – gehen wir!
Wohin?“
„Ein Gästehaus existiert nicht, noch nicht. Im Allgemeinen
gibt‘s hier keine Besucher. Also zu meinem
Wohncontainer…“, er zögerte. „Schon wieder ein Lapsus?“,
dachte er. „Dort wäre genug Platz“, sagte er und sah sie
fragend an.
„Okay – habt ihr einen Laden oder so etwas hier? Meine
Reisetasche liegt auf den Meeresgrund. Ein paar Kleinigkeiten
brauchte ich.“
„Ein Magazin, liegt auf unserem Weg. Aber versprich dir
nicht allzu viel davon.“
Mit dem Stichwort „Meeresgrund“ wurde Milan an sein
Gespräch mit dieser Bootsführerin Pamela erinnert. „Hast du
eine Ahnung, wie es zu dem Bootsunglück gekommen ist?“
Alina schüttelte den Kopf. „Es sind so viele Klippen hier –
und das war ja irgendwie auch mein Glück, dass ich auf eine
geschleudert wurde. Nein, ich sah etwas Glattes, Graues – ich
weiß noch, dass ich dachte: ,ein Wal’ –, und dann hat es
gekracht.“
„Ein Wal…“, es war, als sinne Milan dem Wort nach. „Wer
ein Wachboot fährt, sollte sich eigentlich im Gewässer
auskennen, und dümmlich erschien mir diese Pamela nicht.“
„Pamela?“
„Die Bootsführerin, ich hab mit ihr gesprochen. Die haben sie
ohnmächtig aus dem Wasser gezogen.
Dass du an Bord warst, haben die vom Rettungsboot nicht
gewusst und deshalb nicht nach dir gesucht. Und ich habe
keinen Argwohn geschöpft, als ich hörte, dass eine Frau
gerettet wurde. Ich habe nicht mit einem weiblichen
Bootsführer gerechnet.“
„Irrungen und Wirrungen“, zitierte Alina lachend, nahm ihre
noch feuchten Kleider über den Arm und wandte sich zur Tür.
Milan folgte ihr nachdenklich. „Ein Wal – so ein Unsinn!“,
dachte er.
Alina kaufte Kleinigkeiten: Toilettenartikel, Unterwäsche
und einige Lebensmittel, weil Milan eingestand, an dieses und
jenes nicht gedacht zu haben. „Ach, nehmen wir doch noch
eine Dose Kamtschatka-Krabben“, und schon bediente sie den
Automaten. „Die hast du doch so gern, ich mach uns einen
Salat – wie früher!“
Eine Sekunde blickte der Angesprochene irritiert. Dann sagte
er: „O ja – aber du solltest dir keine Umstände machen!“ Er
packte die Dose ein, in der Hoffnung, sie in irgend einer Weise
Alina aus dem Gedächtnis zu bringen. Krabben konnte er noch
nie ausstehen.
Unmittelbar gegenüber seiner konnte Milan Alina im selben
Container in einer Einraumwohnung unterbringen. Er wies sie
in das Wenige ein, entschuldigte sich dann für die nächsten
Stunden, was Alina durchaus zustatten kam, so übernächtigt
und müde, wie sie sich fühlte.
Als Milan an ihre Tür klopfte, sie gleichsam weckte,
dämmerte bereits die Nacht herauf.
„Hallo, Abendessen!“, rief er. „Komm rüber!“ Eingedenk der
drohenden Krabben hatte er für die Verhältnisse auf der Insel
ein durchaus festliches Arrangement an Speisen
zusammengestellt, sogar mit glänzenden Gläsern, Servietten,
einer Kerze und einem Blumengesteck.
Alina honorierte dieses mit großem Lob und innerer
Verwunderung. „Du wächst ja über dich hinaus“, anerkannte
sie. Und mit leisem Spott: „Wirst du am Ende noch
Romantiker?“
Milan goss roten Wein ein; er biss sich auf die Lippen.
„Warum, zum Teufel, muss ich vorprellen“, dachte er. „Hab
ich mir nicht vorgenommen, sie agieren zu lassen und auf sie zu reagieren? Und wieso stelle ich mir dann selber Fußangeln?
Es waren die Krabben!“, und bei dieser Begründung musste er
doch innerlich lächeln. „Also
– nochmal: Herzlich
willkommen, Alina“, sagte er, indem er das Glas hob.
„Er trägt einen Ring?“, stellte Alina bei sich ein wenig
verwundert fest, als sie an der erhobenen Hand Milans den
schwarzen Stein erblickte. „Früher hat er sich über jeden
Mann, der ein derartiges Schmuckstück trug, lustig gemacht,
ihn als einen eitlen Pinkel bezeichnet.“
„Du nennst mich auf einmal Alina, betonst das I?“
Milan wurde es siedend heiß. „Ich, ich – ach, weißt du…“, er
suchte nach Worten, „in meinem letzten Quartier war ein, ein
so kleines Mädchen, eine Vierjährige, die rief man Alina…“,
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