Der erste Versuch
Milan lächelte erleichtert ob seines Einfalls, „mit Betonung auf
dem I. Und das gefiel mir gut. Es hat sich wohl festgesetzt.“
„Na, wenn es ein kleines Mädchen war…“, scherzte Alina.
Einen Augenblick dachte sie, dass eine solche
Gedächtniskapriole wohl doch ein wenig merkwürdig sei.
Während des Essens nötigte Alina: „So
– nun erzähle!
Weshalb bist du von deinem Vorhaben, fünfzig Jahre zu
schlafen, so gründlich abgewichen? Hat man die Vereinigung
so schnell aufgelöst, dass es keine Voraussetzung mehr
gab…?“
„Was für eine Vereinigung, verdammt“, dachte Milan.
„Oder war das mit dem Schlafen nur eine heldenhafte
Geste…“, sie lächelte spöttisch und biss in ein Hähnchenbein,
„den Weltschmerz unserer Trennung zu demonstrieren?
Entschuldige! Aber gewundert hat es mich schon, als ich
erfuhr, dass du hier gelandet bist.“
Milan goss Wein nach und animierte zum Trinken, auch in
der Hoffnung, der Alkohol werde eine unwägbare Fragerei
alsbald verharmlosen. „Genau das war es!“, behauptete er.
„Das Angebot hier hat meine Pläne umgestoßen. Neuland,
risikobehaftet, das ist doch etwas. Dabei sein zu können, wenn
etwas Großes geschieht…“ Er sah sie treuherzig an.
„Ich freu mich für dich“, antwortete Alina. „Schon allein
deshalb, weil ich dich ja nicht angetroffen hätte, wenn du
schlafen gegangen wärst.“ Sie lachte. „Früher hätte er um
keinen Preis ein einmal gefasstes Vorhaben wie dieses
aufgegeben“, dachte sie. „Wer weiß, ob wir uns getrennt
hätten, wenn er ein Quäntchen anpassungsfähiger oder gar
bereit gewesen wäre, eine Entscheidung zu revidieren.“
„Und die Vereinigung?“, fragte Alina. „Habt ihr sie aufgelöst
oder ist sie aufgelöst worden? Da war doch Schlimmes im
Gange.“
In der Meinung, die Details aus der Vergangenheit des
Mannes, dessen Identität er nun angenommen hatte, nicht
wirklich parat haben zu müssen, hatte Milan sich Einzelheiten
nicht richtig eingeprägt, sich nur das für ihn vermeintlich
Wichtigste gemerkt und den gekennzeichneten Teil der Akte
weisungsgemäß vernichtet. Seit Alina das erste Mal von der
Vereinigung gesprochen hatte, zermarterte er sich das Hirn,
was es wohl damit auf sich hatte. Es musste mit dem
Schlafengehen, auf dem sie herumritt, unmittelbar
zusammenhängen. „Schlafen“, dachte er. „Der Milan, der ich
jetzt bin, hatte die absurde Absicht, sich fünfzig Jahre
einschläfern zu lassen. Das ist ‘s!“ Milan atmete auf. „Es gab
doch eine Vereinigung von solchen Welt-, nein
Lebensverbesserern, die ihren Anhängern ein zweites Leben
bescheren wollten, indem sie sie, in der Hoffnung auf bessere
Zeiten, Epochen verschlafen ließen. Und es soll sogar
funktioniert haben, das mit dem Dauerschlaf. Man hat davon
gehört und auch, dass die Kirche…“
„Eigentlich aufgelöst worden“, antwortete Milan zaghaft. Er
fühlte sich unsicher, langte über den Tisch, um sich eine Gurke
zu nehmen, und stieß mit dem Ellbogen – natürlich wie
unabsichtlich – sein Weinglas um. „Hoppla“, sagte er. „Ich
Taps!“
Alina lachte und rückte vom Tisch ab; Milan tupfte mit der
Serviette die Flüssigkeit auf. „Ich hole eine neue Flasche“,
sagte er, und er überlegte intensiv, wie er den Dingen eine
Wende geben könnte.
Als er an den Tisch zurückkehrte, trat er hinter Alinas Stuhl,
beugte sich vor, stellte über sie hinweg die Flasche auf den
Tisch und im Zurückgehen küsste er Alina auf den Hals.
Alina reagierte überrascht, aber moderat. Sie wich mit dem
Oberkörper ein wenig zurück, wandte ihm das Gesicht zu und
fragte mit gerunzelter Stirn und einem Lächeln: „Alte
Zeiten…?“
„Ein bisschen…?“, und er streckte die Hände nach ihr aus.
Alina erhob sich langsam, trat an Milan heran, schmiegte sich
an ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter.
„Ich…“, begann Milan.
„Sag nichts.“ Alina löste sich sacht, nahm Milan an die Hand
und zog ihn zur Schlafstatt…
Als Alina erwachte, benötigte sie lange Sekunden, bis sie in ihr
Umfeld und das jüngste Geschehen hineinfand.
Hellwach wurde sie, als sie neben sich tastete und feststellte,
dass Milan bereits aufgestanden war.
Alina entspannte, schloss die Augen und genoss das
Glücksgefühl, das sie seit dem Abend gefangen genommen
und das in seinen Armen diese Steigerung erfahren hatte. Nur
ganz im Unterbewusstsein sagte sie sich: „Ich habe es nicht
wirklich beabsichtigt, als ich zur Insel fuhr, es hat sich einfach
ergeben. Kein
Weitere Kostenlose Bücher