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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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in das Brül­len des Win­des hin­ein. Und da­mit auf das Band noch was drauf kam: „Ich kann die Ra­dar­an­ten­ne nicht se­hen!“
    Als ich nach un­ten schau­te, sah ich, wie die Py­ra­mi­de groß und dicht un­ter uns da­hing­litt. „Ich wer­de mal nach­se­hen“, rief ich, oh­ne die Ra­dar­an­ten­ne da­mit zu mei­nen, und ließ los.
    Von mei­nem Ge­wicht be­freit, mach­te der Ko­pter so­fort einen Sprung in die Hö­he. Ich fiel rück­lings durch das Nichts und such­te nach dem Brus­tring des Dü­sen­gür­tels, der auf mei­nem Rücken be­fes­tigt war. Er steck­te un­ter den Ex­tra­dü­sen auf mei­ner Vor­der­sei­te. Tas­tend schob ich mei­ne Hand un­ter den Har­nisch. In der Fer­ne sah ich den Am­bu­lanz­hub­schrau­ber krei­sen. Ich zog fest an dem Ring. Die Schul­ter­dü­sen stie­ßen ein schril­les Zi­schen aus und brach­ten mich in ei­ne auf­rech­te La­ge. Ich hing in der Luft wie ein Ste­hen­der; Gur­te un­ter den Arm­beu­gen, um die Brust und den Ober­schen­keln tru­gen mein Ge­wicht.
    Ei­ne große, stei­ner­ne Na­del ne­ben mir – der gi­gan­ti­sche Zei­ger der Son­nen­uhr. Ich knick­te für die Lan­dung die Knie ein und fiel auf einen Sta­pel von Stroh­pup­pen. Ei­ne von ih­nen, die ge­ra­de ent­haup­tet wor­den war, roll­te an mir vor­bei und fiel die stei­len Stu­fen hin­ab.
    Die Stu­fen gin­gen an ei­ner Sei­te run­ter, aber die Sei­ten be­stan­den aus me­ter­tie­fen Blö­cken, wie Stu­fen für einen Rie­sen, und ich be­fand mich auf dem zwei­ten Block von der Spit­ze aus ge­rech­net, wo vier Pries­ter stan­den. Wei­ße Au­gen in braun an­ge­mal­ten Ge­sich­tern sa­hen mich an. Sie wa­ren im­mer noch vom rot­brau­nen Blut des Men­schen be­spritzt, den sie ge­ra­de um­ge­bracht hat­ten.
    Die hem­den­lo­sen, nach­ge­mach­ten In­dia­ner, die den Pries­tern hal­fen, sa­hen bru­tal und stark aus.
    Da­mit ich mich schnel­ler be­we­gen konn­te, leg­te ich die über­zäh­li­ge Dü­sen­aus­rüs­tung ab. Ich woll­te sie lie­ber aus­trick­sen als mit ih­nen kämp­fen. Die Son­ne brach sich auf den Stei­nen und den leuch­ten­den Ko­stü­men. Der Wind weh­te wär­mer. Ich öff­ne­te mich den Vi­bra­tio­nen und Ge­füh­len und schrie: „Wo ist der Kör­per des Kö­nigs?“ Dann ließ ich al­les in mich hin­ein­strö­men.
    Einen Mo­ment lang ver­spür­te ich die Ver­wun­de­rung und große Be­deu­tung, die man rät­sel­haf­ten Er­eig­nis­sen bei­mißt. Der Son­nen­gott schi­en auf uns her­ab, als wol­le er uns sei­nen Se­gen ge­ben. Er war die Quel­le al­len ir­di­schen Le­bens, das Sym­bol in­ne­rer Ener­gie und des Da­seins selbst. Das Licht am Him­mel war das Licht des Be­wußt­seins.
    Die hel­len Farb­mus­ter der Ko­stü­me ver­wirr­ten mei­nen Blick, und in den Schat­ten der Ver­klei­dun­gen er­kann­te ich die klei­nen Um­ris­se ei­ner schwar­zen Ge­stalt. Ich sah in den Mus­tern sym­bo­li­sche Din­ge.
    Ich schloß die Au­gen, um das zu se­hen, was die an­de­ren sa­hen, und dann sah ich durch ih­re zahl­rei­chen Au­gen ei­ne große, schwar­ze Dä­mo­nen­ge­stalt, die in­mit­ten des Sta­pels der Ge­op­fer­ten stand und mit brül­len­der, tiefer Stim­me Be­feh­le er­teil­te. Die Ge­stalt war ich. In der Vor­stel­lung der Az­te­ken wa­ren die Op­fer le­ben­di­ge We­sen, See­len, die zur Son­ne ge­schickt wur­den. In ih­rer Phan­ta­sie wu­cher­te am Fu­ße der Py­ra­mi­de ein ge­wal­ti­ger Dschun­gel, in dem sich bis zum Ho­ri­zont nur da und dort ähn­li­che Ge­bäu­de aus dem dich­ten Grün er­ho­ben. Die Sa­do­ma­so­chis­ten der Az­te­ken-Kom­mu­ne ver­such­ten ih­re Ze­re­mo­nie da­hin­ge­hend ab­so­lut au­then­tisch zu ma­chen, in­dem sie die Zeit­pil­len ir­gend­ei­nes His­to­ri­kers ge­schluckt, sich in au­to­hyp­no­ti­sche Tran­ce ver­setzt hat­ten und nun geis­tig in ei­ner prä-christ­li­chen Epo­che leb­ten, als Men­schen­op­fer noch ei­ne auf Ge­setz, Ord­nung und re­li­gi­öser Re­spek­ta­bi­li­tät fußen­de Tra­di­ti­on ge­we­sen wa­ren.
    Nur der Ho­he­pries­ter war sich der Tat­sa­che be­wußt, daß sie ein Ver­bre­chen be­gan­gen. Nur er fürch­te­te mich als einen Stö­ren­fried, der sei­ne

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