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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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hat­te.
    „Wann ha­ben Sie die­sen Fall an­ge­nom­men?“ frag­te sie. „Sie müß­ten mir die ge­naue Zeit sa­gen.“
    „Ich weiß nicht. Wann be­merkt man zu­erst, daß et­was nicht in Ord­nung ist? Schon vor ei­nem Jahr fiel mir auf, daß die­ser Block et­was Ge­spens­ti­sches an sich hat, aber ich ha­be nichts da­ge­gen ge­tan. Ge­nau merk­te ich es erst in ei­nem ita­lie­ni­schen Re­stau­rant, an dem Tag, als man mich an­stell­te. Aber auch da sag­te ich nie­man­dem et­was.“
    „Vor ei­nem Jahr?“ Ih­re Stim­me wur­de schrill. „Sie be­kom­men Stun­den­lohn. Wann ha­ben Ih­re Vor­ge­setz­ten Sie auf die­sen spe­zi­el­len Fall an­ge­setzt?“
    Sie war ein lieb­rei­zen­des, rund­li­ches Mäd­chen mit net­tem Ge­sicht und ei­nem Knub­belnäs­chen, aber ir­gend et­was an der gan­zen Sze­ne­rie mach­te mich wü­tend.
    „Ich ha­be kei­ne Vor­ge­setz­ten. Nie­mand hat mich auf den Fall an­ge­setzt. Heu­te mor­gen um sechs Uhr drei­und­zwan­zig sag­te ich mir ein­fach, ich soll­te et­was un­ter­neh­men.“
    „Ich muß ei­ne Spal­te aus­fül­len, in der da­nach ge­fragt wird, wie vie­le Stun­den Sie ge­ar­bei­tet ha­ben, Mr. San­ford. Wann ha­ben Sie mit der Ar­beit an­ge­fan­gen?“
    „Das kommt dar­auf an, was Sie mit Ar­beit mei­nen“, groll­te ich und sah zur Sei­te, da­mit sie nicht se­hen konn­te, wie wü­tend ich war. „Ich ha­be ein Te­le­fon­ge­spräch ge­führt. Das dau­er­te fünf Mi­nu­ten.“
    „Wir kön­nen Sie nicht für fünf Mi­nu­ten be­zah­len, Mr. Sand­ford.“ Sie zog die Hän­de von der Schreib­ma­schi­ne zu­rück und ball­te sie auf der Schreib­tisch­plat­te zu Fäus­ten. „Ich ver­su­che doch nur, Ih­nen zu hel­fen.“ Ih­re Au­gen rö­te­ten sich. Ich frag­te mich, warum ich so sau­er auf sie war, und ver­such­te, mich in mei­ne ei­ge­ne Lau­ne ein­zu­stim­men.
    „Mein Na­me ist nicht Sand­ford“, sag­te ich und knurr­te bei­na­he. Mein Na­me er­zeug­te in mei­nem Kopf plötz­lich ein sich wild über­schla­gen­des Echo. Ich hei­ße nicht Sand­ford, ich hei­ße nicht Sand­ford … NICHT SAN­FORD NICHT SAN­FORD. NICHT GE­OR­GE SAN­FORD. Ge­or­ge San­ford war nicht mein rich­ti­ger Na­me.
    Sie konn­te das Echo nicht hö­ren, aber sie frag­te mich et­was.
    Die Neu­ro­lo­gi­sche, dach­te ich, ist ge­nau der rich­ti­ge Ort, um ver­rückt zu wer­den. Durch die Echos, die mei­ne Stim­me in mei­nem Kopf er­zeug­te, hör­te ich ih­re Stim­me nur va­ge und ach­te­te auf die Be­we­gun­gen ih­rer Lip­pen. „Wir müs­sen die­se Sei­te aus­fül­len. Wie lau­tet al­so Ihr rich­ti­ger Na­me – und wie Ih­re Adres­se?“
    Ich ha­be kei­ne Adres­se. Ich woh­ne in Kom­mu­nen. Ich ha­be kei­nen Na­men. Ich bin nicht ich selbst!
    Na­tür­lich sprach ich die­se Ver­rückt­hei­ten nicht aus. Ich neh­me an, daß ich wü­tend aus­sah und nicht furcht­sam, ent­setzt und au­ßer mir. Ich dreh­te mich um, stampf­te auf den Kor­ri­dor hin­aus und tau­mel­te zu die­sem Bild­fens­ter. Was pas­siert, wenn man sich auf sich selbst ein­zu­stim­men ver­sucht wie in einen Frem­den? Ich ver­such­te es im­mer noch. Ich hör­te nicht auf. Ich sah über den Fluß und sah, wie sich die Pa­li­sa­den­klip­pen und Ge­bäu­de, die trotz der Ent­fer­nung rie­sig wa­ren, in die zer­brö­seln­den Mau­ern ei­nes na­he lie­gen­den Ge­bäu­des ver­wan­del­ten, das lang­sam ein­stürz­te. Das Hub­schrau­ber­ge­sum­me kam von ei­nem gi­gan­ti­schen Flug­zeug, das sich an­schick­te, in die Wand hin­ein­zu­ra­sen, hin­ter der ich stand. Ich hat­te Angst; es war ent­setz­lich. Ich kam mir vor wie ein klei­nes Kind.
    Die rie­si­gen Ge­sich­ter ima­gi­närer Er­wach­se­ner schau­ten auf mich her­ab. Aus der Fer­ne ka­men don­nern­de Stim­men. „Wie heißt du denn, Klei­ner?“ – „Hast du in die­sem Haus ge­wohnt?“ – „Weißt du, wer noch drin­nen war?“ – „Wo wohnst du denn, Klei­ner?“
    Laßt mich in Ru­he! Ich ha­be es nicht ge­tan! Ich bin gar nicht ich!
    Ich dreh­te mich um, ver­ließ mit schnel­len Schrit­ten die Ner­ven­kli­nik und ging über die Stra­ße in den Son­nen­schein hin­ein. Ich kann Leu­te, die Fra­gen stel­len, nicht aus­ste­hen; selbst dann

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