Der Esper und die Stadt
räusperte sich. „Ihr … äh … Name ist … äh. Ich finde Ihre Theorien sehr interessant. Ich freue mich immer, wenn ich jemanden treffe, der Gruppenpsychologie studiert hat. Nur wenige Leute interessieren sich dafür. Es … äh … tut mir leid … Ich meine die Sache mit der Folterbox.“
Er sah auf. Sein Blick kreuzte sich mit dem Ahmeds, und er zuckte bedauernd die Achseln. „Rachedurst ist der einzige Stolz, den Verlierer sich erlauben dürfen. Und das hält sie am Leben.“ Er brachte ein verzerrtes Lächeln zustande und zuckte erneut die Schultern. „Ich muß sie bei guter Laune halten. Deswegen kann ich nichts dagegen machen, wenn sie sich an Fremden rächen.“
Ich lehnte mich zwischen den Wänden an einen Balken und wartete darauf, daß die Araber sich weit genug entfernten, bevor ich eine der Sperrholzplatten umkippte und mich auf Hisham stürzte. Seine Entschuldigungen beeindruckten mich nicht. Taten sprechen deutlicher als Worte. Hisham hatte Ahmeds Fessel weder gelöst noch ihm Kaffee angeboten.
Ahmed lächelte nicht. „Warum lehren Sie nicht an einer Universität?“
Hishams breite Schultern zuckten nervös. „Was sollte ein netter Gelehrter wie ich dort anfangen? Glauben Sie, daß meine Flüchtlinge hoffnungslose Fälle sind? Die Juden waren einst eine arabische Nation, die man in kleinen Gruppen über die ganze Welt verstreute und in die Verbannung schickte. Man schickte sie weg, weil sie einen Krieg verloren und nach ihrer Niederlage nicht mit dem Kampf aufhören wollten. Ihre Rache bestand darin, jene Städte zu erobern, in die man sie ins Exil schickte. Und sie eroberten sie – mit Musik, Gelehrsamkeit, Wissenschaft, Geld und Stärke. Vielleicht haben auch sie als ein Trupp armer, kämpferischer Fanatiker ohne Freunde und nur mit ihrer Religion und ihren Messern angefangen. Vielleicht mußten auch sie erst eine Generation lang Schmerz ertragen, bevor sie entdecken, daß Wissen Macht bedeutet. Ich verkürze natürlich. In nur einer Generation großen Schmerzes zwinge ich diese Falken zum Lernen. Ich, ein Gelehrter, sorge dafür, daß sie sich ducken und gehorchen. Ich bin nämlich stärker, brutaler und rachsüchtiger als sie. Man hat ihnen beigebracht, Gelehrte zu furchten und zu verehren. Nur Satan kann der König der Hölle sein.“ Hisham sah zu Boden und dachte nach.
Als er wieder aufschaute, hatten sich seine Züge erneut verhärtet. Er schien nun nichts mehr zu bedauern. „Wie haben Sie erfahren, daß Selim mir nach dem Leben trachtete?“
„Indem ich mir ihre Fragen anhörte“, antwortete Ahmed. „Drei Frauen fragten mich, ob Akbar Hisham etwas Wichtiges herausgefunden habe, und als ich nein sagte, waren sie erleichtert. Es waren Selims Frau, seine Mutter und seine Geliebte. Sie fragten mich, ob er lange leben würde. Eine andere Frau fragte, ob ihr Gatte sich Selim anschließen solle, wie die anderen. Aber bevor sie mir diese Frage stellte, sah sie nach, ob uns auch niemand hören konnte.“
„Wahrsager scheinen aus den Fragen der Leute eine Menge zu lernen“, sagte Hisham nachdenklich. Er erhob sich und ging auf und ab. „Mir fallt nichts ein, wie ich Sie laufen lassen könnte. Zwingt Sie die Injektion wirklich dazu, die Wahrheit zu sagen?“
„Ja“, sagte Ahmed grimmig und schloß den Mund. Ich sah, wie sich seine Wangenmuskeln bewegten.
Wieder schritt Hisham auf und ab. Einmal warf er einen Blick auf die Sperrholzwand und sah mir genau in die Augen, aber durch den dunklen Spalt konnte er mich nicht sehen. Der Gedanke, einen gelehrten Kollegen umzubringen, behagte ihm nicht. In diesem Moment nahm er nicht einmal die gelockerte Sperrholzplatte wahr. „Das würden Sie auch sagen, wenn es nicht so
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