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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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legte sie auf die Schuldfrage ein übertriebenes Gewicht, während sie für Opportunität und Anstand überhaupt kein Verständnis zeigte. Aber ich gebe zu, daß sie in anderen Verhältnissen mit ihrem Temperament Eindruck machen könnte. Vielleicht macht sie noch Karriere“, schloß die Dame ihre Erörterungen in einem Ton, als sei über ein Nebenbei die Rede gewesen.
    Der Prinz schien anderer Meinung zu sein.
    „Karriere?“ fragte er. „Im Harem eines Pascha? Halten Sie das für Karriere? Immerhin ist sie meine Nichte.“
    „Ihre illegitime Nichte. Denken Sie lieber an die Kinder des Grafen Thomas von Soissons, Ihres Herrn Bruders.“
    Eine Antwort bekam sie nidit, weil der Haushofmeister meldete, daß die Abendgäste versammelt seien. Gedankenverloren reichte Eugen seiner Freundin den Arm. Plötzlich blieb er stehen.
    „Hielten Sie es für möglich“, fragte er, „daß sie noch einmal zurückkehrte?“
    „Sie sind unverbesserlich!“ lachte sie. „Aber wenn Sie es wissen wollen: Bei Julienne, mein armer Freund, ist nichts unmöglich.“

19
    Ganz ohne Kaffeeschänken war Konstantinopel auch dann nicht gewesen, als sie insgesamt auf Pfortenbefehl geschlossen worden waren: In Winkeln und Winkelchen hatten sie im Verborgenen weitergeblüht - nur noch durch den Bakschisch an die zuständigen Polizeiorgane geschützt. Pfortenbefehl und Bakschisch hatten miteinander konkurriert, wobei die ehrwürdige Einrichtung des Bakschisch sich als überlegen erwiesen hatte.
    Allah war nicht nur barmherzig, sondern auch allmächtig, und der 236
    Padischah war als Allahs Schatten auf Erden also ebenfalls allmächtig, woran zu zweifeln keinem Rechtgläubigen eingefallen wäre. Aber ebensowenig war daran zu deuteln, daß es Kaffeeschänken gab, und zwar bereits seit den Zeiten des Gerechten, den die Ungläubigen, die Allah verdamme, Soliman nannten. Und was der Gerechte zugelassen hatte, konnte nichts anderes sein als Recht - das Recht der Rechtgläubigen. Wie nun aber, wenn dieses Recht der Macht, der Allmacht begegnete . . .? Das warf Fragen auf, die besprochen und geklärt werden wollten. Und an welchen andern Stätten hätte man das wohl vermocht, wenn nicht dort, wo alles, was sich in dieser oder jener Welt ereignet hatte, ereignete oder noch ereignen würde, zu allen Zeiten besprochen und geklärt wurde, nämlich im Kaffeehaus? Also hatte man getan, was zu tun gewesen war - man war auch weiterhin ins Kaffeehaus gegangen.
    Wie ein mütterlicher Schoß umfing eine Kaffeestube den Gast. Polster an den Wänden der halbdunklen Stube. In einer Ecke glosten die Holzkohlen, der Heißwasserkessel hing darüber. Daneben stand die schöngetriebene Messingkanne mit dem Schwanenhals als Ausguß für das kalte Wasser. Der Kanne gegenüber wartete das Kaffeepulver in einer schimmernden Dose. An der einen Wandseite hingen die kleinen Kupferkännchen - für jedes Täßchen ein neues. Auf der anderen Seite standen Täßchen und Untertäßchen auf dem Bord. Dazu noch ein Löffel und nur keine Eile nach Art der lästigen Franken.
    Mit dem Löffel das Pulver ins Kupfer, aus dem Kessel Heißwasser darüber gekippt, dann das Kännchen in die Glut, ein Aufwallen, ein Abschrecken mit einigen Kaltwassertropfen, wieder hinein in die Kohlen, einmal, zweimal - und nun - das Täßchen tief unten, das Kännchen hoch oben, aus ein Meter Höhe und mehr ergoß sich in feinem, wohlbemessenem Strahl das schaumige Getränk in die Tasse. Kaffeekoch in Konstantinopel wollte gelernt sein.
    Dodi an diesen Kunstfertigkeiten hätte die Pforte keinen Anstoß genommen, wenn sich aus dem köstlichen Geruch des Kaffees und dem ebenso köstlichen blauen Gewölk der Wasserpfeifen nicht Worte zu lösen pflegten. Dichter rezitierten ihre Verse - was wäre aus der Literatur ohne Kaffeeküchen geworden? —, Nachrichten wurden umgetragen, und alles, alles wurde diskutiert und kritisiert. An dieser Kritik, die zu allen Zeiten das heiligste Recht der Gläubigen gewesen war, hatte die Pforte im Hinblick auf die Unruhen des Aufstandes Anstoß genommen; aber selbst Kabakulak, das Grobohr, so genannt, weil er nie hörte, was er nicht hören wollte, hatte erkennen müssen, daß der Kritik mit Verboten nicht beizukommen war. Nach den ersten Überfällen hatten seine Leute immer nur noch süße Düfte und einen wassergelöschten Kohlenhaufen in sonst leeren Räumen vorgefunden. Rückfragen bei den Hausbesitzern hatten stets die gleiche Antwort ergeben, daß die Räume zu vermieten

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