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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Kniehosen der Männer ebensowenig wie durch die raschelnden Reifröcke der Frauen sich für die Eingliederung in den Westen gewinnen lassen wollten, sondern an ihren Bärten und an ihrer Körperpflege festhielten. Von den Klöstern war selbstverständlich nichts anderes zu erwarten, obwohl die östlichen Mönche und Nonnen durch derartiges Widerstreben gegen westliche Aufklärung auch weiterhin den penetranten Geruch der Heiligkeit entbehren mußten, der bei den römischen Christen in so hohem Ansehen stand. Der Freigeist Bonneval war ein Mann, der sich das Leben nicht unnötig schwerer machte, als es ohnehin war, und da er und Lamira schnell eingesehen hatten, daß der Grund der Unbeliebtheit abendländischer Kavaliere in türkischen Kanzleien nicht so sehr in religiösen Divergenzen als darin bestand, daß die Herren Kavaliere stanken, so war er den Erfordernissen tapfer entgegengekommen. Er hatte sich nicht erst lange damit aufgehalten, daß regelmäßiges Baden im Osten als Frömmigkeit, im Westen aber als schmutzige Sinnlichkeit und Laster galt. Wozu hätte er sollen? Es gab gar kein Laster, vor dem Bonneval zurückgeschreckt wäre. Auch alle Befürchtungen vor gesundheitlichen Schädigungen hatten sich erfreulicherweise als hinfällig erwiesen, während seine Bekehrung zu Wasser und Seife seine geistliche und geistige auf das glücklichste ergänzt hatte. Alle Zweifel waren zerstreut worden: er war ein Türke, ein rechtgläubiger Efendi, wohlriechend und gebadet. Im allgemeinen hieß es ja: „Ein Ungläubiger bleibt immer ein Schwein - warum an ihn eine Beschneidung vergeuden?“ Aber für Ahmed Tsdielebi Efendi galt das nidit. An ihm hatte Allah ein Wunder getan.
    Das änderte aber nidits daran, daß Seine Gnaden längst wieder hätten zurück sein müssen. Für einen Augenblick, wie er gesagt hatte, war er gegangen, aber nun war der Augenblick selbst bei weitester Auslegung verstrichen. Man hätte das eigentlich schon früher merken können; aber die beiden Herren, Hassan Efendi und der junge Suleiman, hatten sich verplaudert. Der junge Herr konnte ebensowenig türkisch wie sein Chef, und so war es ihm ein Vergnügen gewesen, mit Hassan französisch zu sprechen. Der arme Junge hatte Heimweh -Hassan merkte das sofort und dachte, daß der Graf doch eine große Anziehungskraft haben müsse. Dieser Suleiman sei auch nicht immer Suleiman gewesen, er habe ein deutsches Offizierspatent gehabt und sei dennoch sofort gekommen, als sein verkrachter General gewinkt habe. Zum Staunen sei das. Aber nun sei es allmählich Zeit geworden, eben diesen General zu suchen.
    Seiner Gnaden sei vielleicht übel geworden? meinte er zu Suleiman, eine Möglichkeit, die der junge Herr zugeben mußte, ohne daß Ahmed Efendi deswegen so leicht gefunden worden wäre. Im engen Flur wäre der so schwer beunruhigte Hassan beinahe von drei Lastträgern umgeworfen worden, die einen großen zusammengerollten Teppich zur Haustür hinauswuchteten. Gerade noch glimpflich und unter Lachen ging es ab. Doch das Lachen verging ihnen freilich, als sie den Grafen dann trotz allem Suchen nicht fanden. Längere Zeit warteten sie nodi bei neuem Kaffee für den Fall, daß er auf die Gasse getreten sei und zurückkehren werde. Erst als beide ihr Nargileh ausgeraucht hatten, meinte Hassan Efendi, daß es nun zwecklos geworden sei, noch zu bleiben. Er, Hassan, werde Suleiman nach Pera begleiten, wo der Vermißte ihrer vielleicht schon harre. „Und Sie glauben nicht, daß ihm etwas zugestoßen sein könnte?“ fragte Suleiman.
    „Ein Unwohlsein? Daran glaube ich nicht mehr. Wir haben ihn doch sofort an dem Ort gesucht, wohin man sich in einer solchen Lage zurückzuziehen pflegt. Und was fanden wir? Zwei Wasserkannen, sonst nidits.“
    „Es könnte auch etwas anderes geben“, beharrte Suleimann und sah dem andern scharf in die Augen, „einen Überfall zum Beispiel . . .“ Hassan Efendi hielt dem Blick stand, bis er sich schließlich mit einem
    Lächeln demaskierte.
    „Diese Gefahr besteht nidit“, sagte er. „Sie besteht nicht mehr“, fügte er hinzu.
    „Sie wollen mir nicht verraten, was Sie wissen?“ Diese Frage Suleimans war eine Drohung. - „Mein lieber junger Freund“, sagte Hassan, „hier gibt es nichts zu verraten.“
    „Schuft!“ rief Suleiman und packte den andern an der Kehle, ein Griff, der sich mit einem Gegengriff erledigte.
    „Das ist hier nicht üblich“, erklärte Hassan; „aber ... ich begreife Ihre Beunruhigung. Immerhin

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