Der Eunuch
nachstand.
„Darf ich Madame an Ihre eigenen Worte erinnern? Sie sagten, man könne Frankreich gebrauchen. Was verstehen Madame darunter?“ „Kein unterhaltsames Gerede, keine mündlichen Versprechungen und Gegenversprechungen. Überhaupt nichts Mündliches! Einen genauen, schriftlichen Bündnisvertrag und dazu ein königliches Handschreiben an den Padischah. Frankreich muß sich vollständig binden, wie wir uns zu binden bereit sind.“
„Fleury ist Kardinal“, erinnerte Bonneval.
„Um so schlimmer für Frankreich.“
„Man behauptet in Paris, daß kein Präzedenzfall vorliege ...“ „Doch! Der Handelsvertrag Franz I. von Frankreich mit Kaiser Soliman!“
„Das ist etwas lange her“, meinte Bonneval.
„Nicht ganz zweihundert Jahre“, sagte Julienne, als sei es gestern gewesen.
„Und was wünschen Madame von mir?“
„ Iich wünschte, daß Sie Türke würden, und die Türkei umschließt viele Völker; aber Sie sind nun schon so lange in diesem Reich, das Ihnen Zuflucht gewährt, und kennen kaum vier Worte türkisch. Dieser Wunsch geht über Ihre Kraft. Iich sehe das ein. So wünsche ich denn, daß Sie Ihre Aufgabe erkennen. Und die geht nicht über Ihre Kraft.“ „Und die wäre?“
„Die Türkei muß in kürzester Zeit militärisch so stark sein, daß sie mit einem Mann, wie Sie es sind, aber ohne einen Verbündeten drei Großmächten gewachsen ist.“
„Drei. . .?“ Bonneval war erschüttert.
„Jawohl: Drei. Rußland geht es um Asow und vielleicht auch um Beßarabien. Der Krieg mit Persien ist im Grunde kein Krieg, sondern ein Zustand. Österreich aber muß sich für künftige Verluste mit unserem Balkan - dem ganzen Balkan! - entschädigen, will es sich auf seiner jetzigen Höhe halten.“
„Viel, sehr viel“, sagte Bonneval und durchmaß ohne Rücksicht auf die Dame nachdenklich den Raum.
„So, nicht anders wird der Krieg aussehen“, schloß Julienne. Bonneval blieb stehen.
„Ich soll also ein Zusammengehen mit Frankreich nicht mehr Vorschlagen?“
„Doch! Lassen Sie Villeneuve sich nur abhetzen. Auch gibt es hier zu viel Leute, die an ein Zusammengehen mit Frankreich gewöhnt sind, und deren Feindschaft dürfen Sie sich nicht zuziehen. Für seinen nächsten Krieg möchte Frankreich uns wieder mal gebrauchen. Es rechnet fest auf uns. Verhandeln wir mit möglichst viel Getöse. Aber
verlangen wir einen schriftlichen Vertrag mit gegenseitiger Garantie der Grenzen. Den kann Villeneuve uns nicht bieten - Fleury hat geschworen, das Beispiel Franz I. nicht zu wiederholen - und das ist des Herrn Gesandten Niederlage. Gönnen Sie sie ihm doch!“ „Hinterher stände die Türkei allerdings wirklich allein . . .“
„Allein, ja! aber stärker, viel stärker! Oder glauben Sie, daß es die Türkei nie gespürt habe, wenn sie wieder einmal von Frankreich im Stich gelassen wurde?“
„Und wenn der Großwesir sich ohne Vertrag bindet?“ Bonneval wandte Julienne sein Gesicht zu.
„Mein Lieber“, sagte sie, und dieses Mal blieb sie ernst, „kein Großwesir, weder Sultan Ahmeds Ibrahim, noch dessen drei Nachfolger bis zu Topal Osman Pascha, dem heutigen, hätten es gewagt, die Wiener Regierung durch Ihre Berufung nach Konstantinopel herauszufordern. Talmann tobt immer noch. Sie kennen ihn nidit? Er ist der Wiener Resident. Nicht ungefährlich für Sie, der Mann.“
„Wenn Sie recht hätten .. .", sann Bonneval, „dann gäb es also noch eine Macht...“
„.. . nach der nie geforscht werden darf!“ vollendete Julienne, „am allerwenigsten von Ihnen.“
„Ist das alles?“ fragte er.
„Die Zeit Ihrer Haft ist abgelaufen“, sagte sie. „Verlassen Sie mich durch jene Tür. Man wird Sie auf die Straße geleiten .. . Halt!“ rief sie, als er den Türgriff schon in der Hand hatte. „Der Großwesir hat Ihnen Aussichten eröffnet und dergleichen. Lassen wir ihn. Ich habe Ihnen mitzuteilen, daß Sie innerhalb von vier Tagen ein kaiserliches Diplom mit dem Auftrag erhalten werden, eine neue Truppe der Bombardiere zu errichten. Sie sind Militär genug, um zu wissen, was Sie daraus zur Reorganisierung des Heeres machen können. Fangen Sie sofort an. Es ist keine Zeit zu verlieren.“
20
Es war zu erwarten gewesen, daß die Militärrevolte des Jahres 1730 sich auf die Außenpolitik auswirken würde. Sie war erfolgt, weil die nachgiebige Politik Ahmeds III. und Ibrahim Paschas den Unwillen des Heeres erregt hatte. Als erste Folge hatte sich jedoch ergeben, daß eine ganze Reihe
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