Der Eunuch
schaffen gemacht.“
„Ein Beweis dafür“, fuhr Julienne fort, „daß er zu gewinnen gewesen wäre, wenn Sie die Nation hinter sich gehabt hätten. Sie aber hatten selbst auf der Höhe Ihres Erfolges immer nur einen Teil des Adels hinter sich. Daß auch er später, nach militärischen Fehlschlägen, dahinschwand, weil ihm für den Abfall der Rest seines Besitzes garantiert wurde - das war fast eine Gesetzmäßigkeit, also vorauszusehen.“
Rakoczy begann unter Julienne zu leiden. Es quälte ihn, daß eine junge Frau, ein Mädchen, ihn und seinen Krieg mit solcher Selbstverständlichkeit und — was das Schlimmste war - mit solcher Klarheit durchschaue. Dennoch ließen Höflichkeit und eine innere Erregung ihn beharren, wobei er selbst die Überzeugung nährte, nur der Höflichkeit zu genügen.
„Ich habe den Frieden von Szathmar nicht unterschrieben“, sagte er.
Es war ein etwas ungleicher Kampf zwischen den beiden. Sie selbst war auf Grund der besten Quellen, die nur denkbar waren, vorbereitet, und alles war auf das gründlichste durchdacht worden. An jedes Wort, das aus ihrem Munde kam, glaubte sie. Rakoczy dagegen stand ihr nur mit seiner Gartenschere und seinen Erinnerungen gegenüber.
„Hoheit haben den Frieden von Szathmar nicht unterschrieben, sonst würde dieses Gespräch ja gar nicht stattfinden. Aber das erübrigt die Frage nicht, welche Macht in den acht Kriegsjahren hätte ent-wickelt werden müssen, um den Krieg bis zum Sieg, also bis zur Unabhängigkeit Ungarns, fortführen zu können.“
„Welche Macht? Sie sind wohl nicht so orientiert, mein Fräulein. Die Türken waren ganz ausgeschieden, Frankreichs Lage im spanischen Erbfolgekrieg war äußerst prekär geworden ... ich weiß nicht, was Sie meinen ...?“
„Etwas anderes als Sie, Fürst. Sie widersprachen nicht, als ich Ihnen die Ursache von Szathmar nannte. Sie konnten es nidit. Glauben Sie, daß heute, nach über zwanzig Jahren, die Verhältnisse für Sie günstiger liegen? Eher wohl schlechter, wenn es nur auf den Adel ankäme.“
„Worauf denn sonst!“ unterbrach er sie.
„Auf das Volk, mein Fürst. Leben in Ungarn nur Adlige?“
„Aber diese anderen sind doch nur Leibeigene, im besten Fall Bürgerliche, die wenig zu sagen haben.“
„Die Bürgerlichen würden - damit müßte gerechnet werden - sich zum Adel schlagen, falls nicht ein Teil durch Offiziersstellen zu gewinnen wäre. Für Offiziersstellen käme auch der niedrige Adel in Frage. Die Hauptsache aber bliebe das Volk.“
„Leibeigene, die sich selbst nicht gehören! Die man auspeitscht oder gar aufhängt, wenn sie sich von der Scholle entfernen.“
Ganz einfach wütend wurde Julienne, als sie das so aussprechen hörte.
„Gerade auf sie kommt es an!“ rief sie. „Überlegen Sie doch einmal, was diese Leute nach einem achtjährigen Krieg für Ihre hochfürstliche Sache erwarten konnte, wenn sie noch ein neuntes und ein zehntes Jahr, kurz: bis zum Sieg gekämpft hätten. Sie wären Leibeigene geblieben, die man peitscht und henkt, wenn sie es sich nicht gehorsam ansehen wollen, daß man ihre Weiber und Töchter vergewaltigt und ihnen das letzte Essen vom Mund wegreißt. War es vor Ihrem Krieg, auf den Sie so stolz sind, schlimm, so ist es jetzt schlimmer. Der Adel ist verarmt und drückt auf seine Leibeigenen, denen er kaum noch die Zeit zum Schlafen gönnt. Nach den vielen Kriegen, darunter dem ungarischen, ist der habsburgische Kronschatz leer. Wer soll die künftigen Kriege bezahlen? Die Leibeigenen natürlich. Ich verstehe Euer
Durchlaucht nicht. Kennen Sie eigentlich Ihr eigenes Manifest vom 7. Juni 1703, das Paul Raday für Sie schrieb?!“
Rakoczy verstand nicht ganz, auf welche Weise er wohl dieses wilde Mädchen gereizt haben mochte, aber daß es tatsächlich geschehen sei, konnte er sich nicht verhehlen.
„Aber mein Fräulein“, versuchte er, sie zu begütigen, „ich sagte doch nichts gegen die Leibeigenen. Iich beklage sie aufrichtig. Als Fürst und Staatsmann jedoch kann ich midi leider nicht schönen Wallungen hingeben, die Sie so anziehend machen. Zwischen einem Manifest und der Wirklichkeit gibt es gewisse Unterschiede, und so muß ich Ihnen sagen, daß sich die Lage der Leibeigenen nur durch Hebung der allgemeinen Wohlfahrt ändern könnte.“
„Also wenn es dem Adel besser geht, wird weniger geprügelt? Meinen Sie das?“
„Sie drücken es etwas herb aus, meine Dame ...“
"... aber es ist richtig! Nun - dann sind wir soweit. Vom
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