Der Eunuch
Großrußland niedergehalten. In dem Maße jedoch, wie sich die Russen einten und unabhängiger wurden, erhob sich der religionsverwandte Bundesgenosse am Bosporus zu einem Oberherrn, der die Khane ein- und absetzte. Es war keine Seltenheit, daß ein Prinz des Hauses Girai mehr als einmal zur Herrschaft gelangte. Auch Kaplangirai hatte schon den Zobelkalpak mit der doppelten Reiheragraffe getragen, die goldumrandete rote Kapanidscha, den juwelenbesetzten Säbel und den Perlenköcher - dafür war er aber in Konstantinopel auch schon im Gefängnis gewesen. Auf diese Weise hatte er seine Erfahrungen gesammelt und war nun gelassen.
Ein Nachkomme des Dschingis? Diese hohe und schlanke Erscheinung mit dem grauumbarteten Gesicht eines geistvollen und gelehrten Mannes erinnerte in nichts mehr an die gelben Pferdemenschen, wie sie einst aus ihren geheimnisvollen Steppen hervorgebrochen waren. Dschingis selbst hatte gegen Ende seines Lebens über seine eigenen Ur- und Ururenkel schon den Kopf geschüttelt, weil sie so ganz anders aussahen als er selbst und die alten Mitkämpfer seiner Generation. Aber es war ihm recht gewesen. Er hatte ja gewußt, daß es von den Frauen und Mädchen der Besiegten kam, die so reichlich die Zelte seiner Krieger bevölkert hatten. Jedes Kind an der Brust einer Mutter war ihm ein wohlgefälliger Anblick gewesen. Je mehr Kinder, um so mehr Krieger. In einem freilich hatte sich nichts geändert: auch Kaplans feingliedrigen Händen war der Säbel vertraut. Er war Steppenreiter wie seine Ahnen.
In einem Raum von mäßiger Größe saß er jetzt mit seinem Gast. Teppiche an den Wänden und auf den roten Fliesen des Bodens waren außer zwei Polsterbänken alles, was er enthielt, und wenn einer durch die vielen bleigefaßten kleinen Glasscheiben des Fensters geschaut hätte, wäre sein Blick auch nur auf eine enge verlassene Straße gefallen. Die beiden Herren hockten mit untergeschlagenen Beinen auf den Polstern und rauchten ihre Wasserpfeifen. Kaplangirai war mit einem langen Hausgewand aus schwarzer Angorawolle bekleidet und trug dazu einen leichten Kopfbund aus weißem Dünntuch im Gegensatz zu dem Geistlichen mit seinem Wulstturban, seinem Kaftan und der vierärmeligen Kapanidscha in den violetten Farben, die ihm als Kadiasker zukam. Der Tendur, die bronzene Feuerkiepe mit glühenden Holzkohlen, erwärmte nur streckenweise den Raum. So stand er denn zwischen ihnen und ließ auf diese Weise immerhin eine leichte Behaglichkeit aufkommen.
Kaplangirai war ein viel zu großer Herr, als daß er seinen Besucher nach dessen Begehren gefragt hätte. Er wartete, bis Sulali beginnen würde. Doch der begann nicht.
„Hoheit“, sagte Sulali, während er sich über die beste Art, Wachteln zuzubereiten, ausließ .. . rupfen, ausweiden, mit Kräutern füllen, in frisch gepflückte Kohlblätter wickeln und so zwischen heißen Steinen eingraben ...
„Hochwürden haben vollkommen recht“, unterbrach Kaplan ihn. „Aber ich bemerkte, daß Sie mich mehrfach ,Hoheit' nannten. Ich bin erstaunt. Mir kommt das Prädikat nicht zu.“
„O bitte“, widersprach Sulali, „nach dem Kanum haben der Tatarenkhan und der Großwesir auf diese Anrede Anspruch . .."
„Der Tatarenkhan - ja. In Ihrer Güte übersehen Hochwürden nur, daß ich keiner bin. Ich bin ein Privatmann, der sich aus guten Gründen in Brusa aufhält.“
„Hoheit waren Privatmann“, sagte Sulali mit einer Betonung, die Kaplan jeder Ungewißheit enthob.
Dennoch schwieg er. Nur die Blicke sprachen zwischen ihm und dem Kadiasker. Erst nach einer Weile setzte Kaplan das Gespräch in einem ganz andern Ton fort.
„Weswegen sind Sie hier, Sulali? Im Auftrag der Pforte?“
Einen Augenblick zögerte Sulali.
„Nein“, sagte er dann.
„Nidit die Pforte? Etwa der Großwesir persönlich?“
„Silihdar Mohammed Pascha ist nicht der Mann für eine persönliche Politik. Und er ist der Schwiegersohn Ahmeds UI. - das zwingt ihn zur Vorsicht.“
Kaplan nickte.
„Ganz recht“, gab er zurück. „ Iich hätte anders fragen müssen. Eins kann man von Kislar gewiß nicht behaupten: daß er der Schwiegersohn eines Sultans sei.“ Er lächelte, während er Sulali bei der Nennung des Kislars scharf beobachtete, was der einzige Zweck seines reichlich billigen Scherzes war. Aber dafür wußte er jetzt auch, daß es nicht Beschir war, der den Kadiasker entsandt hatte.
„Urteilen Hoheit selbst“, wich Sulali einer direkten Antwort aus. „Mengligirai war von der
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