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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Nein, Hühneraugen hatte sie nicht an ihren keineswegs kleinen, aber schmalen, gleichsam trockenen Füßen mit den langen Zehen. Keine Strümpfe verbargen die Formen. Die Damen des Serails steckten ihre Füße nackt in die Schuhe, wenn Ort und Gelegenheit sie ihnen vorschrieben. Denn eigentlich sei es schade, dachte Julienne, sie in noch so weiches Leder oder Stoffe zu pressen, da doch die Teppiche nur darauf zu warten schienen, die Unverhüllten zärtlich zu empfangen. Was freilich ihre eigenen Füße anlangte, so hegte sie wegen deren Länge einige Zweifel und wieder auch nicht. ,Wenn ich ein Mann wäre ...', aber dies kam nicht über ihre Lippen. Nicht alles, was sie dachte, sagte sie laut. Und überdies sei sie ja auch kein Mann.
    Sie sprang auf.
    Der Raum, in dem sie sich befand, unterschied sich in seiner gediegenen Pracht nur wenig von denen des Prinzessinnen-Palastes, den sie noch vor wenigen Tagen bewohnt hatte. Wie sie überhaupt hierhergekommen war, wußte sie nicht, und bis jetzt hatte niemand es ihr sagen wollen. Sie erinnerte sich nur eines Lärms, einer Unruhe, ausweichender Antworten und der großen Erleichterung, die es ihrer Umgebung gewährt hatte, als sie mit größter Gleichgültigkeit gegenüber allem, was sich ereignen oder nicht ereignen mochte, ihr Bett aufgesucht hatte. Aufgewacht war sie in einem anderen Bett und inmitten einer Reihe ausgesucht hübscher Mädchen, die den saalartigen Raum die Nacht über mit ihr geteilt hatten. Seit Julienne von der Batthany fortgeritten und nicht in Promontor eingetroffen war, hatte sie so viele Veränderungen erlebt, daß sie sich nicht übermäßig gewundert hatte. Die Neugierde der anderen war größer als ihre eigene gewesen. Heiterkeit und Gelächter hatten Fragen und Antworten begleitet, alle hatten ihr helfen wollen, so daß keine recht dazu gekommen war, es wirklich zu tun, und in diesem fröhlichen Chaos war einige Zeit verstrichen, bis es Julienne endlich klargeworden war, daß sie sich im Alten Serail und im Harem der erhabenen Walide befunden hatte. Von den Mädchen war sie anfangs für „eine Neue“ gehalten worden, für eines jener erlesenen Geschöpfe, die bestimmt waren, durch ihre Anmut den kaiserlichen Hof zu verherrlichen. Julienne hatte herzlich lachen müssen. Ob denn eine Nebelkrähe in einen Taubenschwarm passe? Man war höflich genug gewesen, zu widersprechen. Aber schließlich hatte Juliennes Hinweis auf ihr Alter gesiegt. Es war nicht zu verkennen gewesen, daß sie ihren Jahren nach mehr den vom Allerhöchsten nicht bemerkten Damen glich, mit deren Hand man zum
    Zeichen kaiserlicher Huld hohe Beamte zu beehren pflegte, wenn man ihnen nicht selbst im Harem ein Amt gab. Die andern Mädchen waren alle kaum flügge gewesen und hatten einer jener Gemeinschaften angehört, in denen sie noch vieles hatten erlernen sollen, ehe sie einer Prinzessin oder Favoritin als Gesellschafterin zugeteilt werden konnten. In scherzhafter Anlehnung an die militärische Einteilung nannte man solche Gemeinschaft eine Oda und ebenso die ihr Vorgesetzte Gouvernante. In so eine Oda war Julienne geraten, und schon hatte sich um sie, die Rätselhafte, die womöglich eine künftige Vorgesetzte sein konnte, eine Art von Respektsraum bilden wollen, als die richtige Oda mit Entschuldigungen erschienen war, daß der zu verehrende Gast in der Eile des „Umzugs“ unter diese losen Mädchen gebettet worden sei. „Euer Gnaden“ nannte die Dame den Gast. Aber es dauerte nicht lange, bis der Schreck, der dieser feierlichen Anrede fast gefolgt wäre, von Julienne gänzlich beseitigt worden war. Selbst die gestrenge Oda hatte nach einigen vergeblichen Bemühungen, das vorlaute junge Volk zu dämpfen, ihre Würde nicht aufrecht erhalten können. Hoffnungslos war sie der allgemeinen Heiterkeit anheimgefallen.
    Es war eine nicht zu leugnende Tatsache, daß Julienne ganz gründlich verschlafen hatte, und nun war keine Zeit zu verlieren gewesen, sie zu baden, zu salben, zu schminken. Fränkische Kleider, wie sie der Ungläubigen zugestanden hätten, waren nicht dagewesen, und Julienne hatte darauf überhaupt für die Zeit ihrer Anwesenheit im Serail verzichtet. Stöckelschuhe spielten auch im Harem eine Rolle, aber nur beim Baden, ein Korsett sowie die neue Mode des Reifrocks waren Julienne in dieser Umwelt als barbarisch erschienen. Also zuerst die Hose, das erste und letzte Kleidungsstück einer orientalischen Dame. Wie Orgelbässe fielen die Beinkleider weit bis auf

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