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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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was du bist, Julienne? Juliana vom Vorberg, Reichsfreiin? Eine Gans bist du. Eine Gans, die nicht weiß, was sie will! Du willst fort, so schnell wie möglich, und kannst es gar nicht erwarten. Und dann ärgerst du dich - sage nichts dagegen: du ärgerst didi, Juliane! -, daß in all’ diesen Tagen kein Mensch auch nur die leiseste Andeutung gemacht hat, du mögest bleiben. Und dann, Julienne, wenn du fort willst - und das willst du doch? Wohin willst du eigentlich? Kann mir denn keiner sagen, wohin ich will?“
    Aller Lustigkeit Lar war diese Frage.
    „Ich kann es jedenfalls nicht, Dame“, hörte sie eine Männerstimme antworten. Die Stimme kam aus dem Nichts.
    Um der Vorschrift des Korans zu genügen, trennte ein Schleier den Raum in zwei Teile. Der Prophet hatte zwar einen Vorhang verlangt; aber gegen die Damen - nicht einmal gegen seine eigenen - hatte er schon zu Lebzeiten nicht viel ausrichten können, und dabei war es geblieben. So ein Schleier zartesten Gewebes wirkte in der Entfernung wie eine Nebelwand, die sich mit jeder Annäherung lichtete, um schließlich ganz zu verschwinden. Den Nebel glanzvoll durchbrechen, um sich dann in jedem beliebten Grade von einer leichten Dämpfung der Konturen und Farben bis zum völligen Verschwinden wieder in ihn zu hüllen . . . das waren Möglichkeiten, die sich die Damen unmöglich entgehen lassen konnten. Es gab also zahlreiche solcher Audienzräume im Harem. Dort empfingen die Glückseligen ihre Vermögensverwalter, Makler, Lieferanten, ihre Lehrer und andere Männer, unverhüllten Gesichtes zwar, aber unantastbar nach dem Gebot des Korans hinter einem Vorhang, der da war und nicht da war - ganz wie die Gebieterinnen es wollten.
    Die Männerstimme kam also aus dem Nebel, aus dem Nichts. Ein winziger Tropfen kann, wenn er die richtige Zusammensetzung hat, eine glasklare Flüssigkeit plötzlich verfärben, trüben oder sonstwie verändern, ja sie zum Gerinnen bringen und so das Flüssige in Festes verkehren. Eine ähnliche Wirkung übte die Stimme auf Julienne aus. Es war jedoch nicht allein die Stimme, sondern auch die Zeit, gerade die richtige Stunde, in der sie erklang. Die Frage hatte gelautet:
    ,wohin willst du?“ - die Antwort: ,ich weiß es nicht.' Die Stimme wußte es so wenig wie sie selbst. Sie wußte wohl, wohin sie konnte, ja eigentlich sollte - sie würde also wieder zurück nach ihrem Schloß Promontor unweit Buda an der Donau müssen. Dort hatte sie alles: einen ganzen Hofstaat, einen Marstall, Wälder, um darin zu jagen, gerade genug, um darin nach Belieben zu streifen, und ein paar große Nachbargüter gab es da auch noch — es brauchte nicht durchaus das der Batthany zu sein, der blöden Ziege. Man konnte zur Familie des Feldmarschalls Mercy reiten oder mit Franz Nesselrode, dem
    Bischof, Schach spielen, und der Bischof Emmerich Csaky war auch noch da. Nur eins konnte sie nicht: sich betätigen. Jeden Versuch vereitelte die prinzliche Güterverwaltung. Ihre Möglichkeiten waren zwar weiträumig, aber, an ihren Ansprüchen gemessen, genau so eng wie die eines ledigen Mannes, der seiner Behausung und deren Mängel überdrüssig geworden war. Wie ein kleiner Student war Dame Julienne beim Klang der Stimme und der Antwort ohne Trost plötzlich von der gleichen peinlichen Krankheit überfallen worden, deren Name ,Budenangst' zwar scherzhaft ist, die den von ihr Betroffenen aber doch zu den unsinnigsten Entschlüssen treiben kann, unter anderem auch zu dem, sich zu verheiraten. Julienne vermochte diese Krankheit dazu, in vollkommene Teilnahmslosigkeit gegen alles, was sie umgab, zu versinken. Hoffnungslos liefen ihr die Tränen herunter. Wie konnte sie wissen, daß die Stimme einem Mann gehörte, dessen huldreiche Unterstützung ihr für die Rückreise versprochen worden war, daß sie Sultan Mahmud Khan, dem Padischah der Osmanen, gehörte?
    Mahmuds Lage war nicht beneidenswert. Als Nachfolger byzantinischer Kaiser wie ein Halbgott behandelt, empfand er die Zeremonien nicht weniger als Stäbe eines Käfigs wie die ständige Überwachung, die als Prinz sein Los gewesen war, ja mehr noch als damals. Früher hatte er von der Freiheit wenigstens träumen können, jetzt hatte er erkennen müssen, daß sie zwar als Wort die ganze Welt erfülle, aber nirgends wirklich zu finden sei. Er war ein Herrscher, der seines Thrones nicht eine Stunde sicher sein konnte. So scharf wehte der Wind am Bosporus, daß die erhabene Walide bis jetzt noch nicht im feierlichen

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