Der Eunuch
Zuge aus dem Alten Serail ins Neue hatte übersiedeln können, was jedoch nicht hinderte, daß die Staatsakte ihr ebenso wenig Zeit ließen wie ihm und er dadurch der Aussprache mit seiner Mutter, der er vertraute, so gut wie beraubt war. Den Kislar hatte er auch schon eine Reihe von Tagen nicht mehr gesehen, und er war nicht leichtsinnig genug, ihn durch einen Edlen Befehl zu sich zu entbieten. Mahmud hatte aus den letzten Herrschaftstagen seines Onkels Ahmed gelernt. Er wußte also, daß verlorene Stunden Gelegenheiten sein konnten, die, einmal verloren, durch nichts mehr zurückzugewinnen seien, und er gab sich keinen eitlen Hoffnungen hin, daß er die Meisterschaft eines Beschir in wenigen Tagen erlangen könne. Er war ein Herrscher, der vorerst nichts Besseres tun konnte -als nichts zu tun, und das war ein Zustand, der einen noch jungen Mann wie Mahmud schwerlich glücklich machen konnte.
Da war diese Sadie mit der Druckerei, der ersten in Konstantinopel. Ibrahim Pascha, der Erdrosselte, hatte sie unter einem ungarischen Renegaten, der bei der Beschneidung den Namen seines Beschützers erhalten hatte, ins Leben gerufen. Aber nun hatte sie mit Ibrahim Pascha den Protektor verloren. Gern hätte Mahmud ihr seinen kaiserlichen Besuch mit allem Pomp gewährt, doch schon das durfte Mahmud nicht wagen. Die Efendi, die Gelehrten, waren in ihrer Masse gegen die Druckerei, weil sie von ihr die Einbuße des Teiles ihres Einkommens befürchteten, den ihnen die Abschreibarbeiten einbrachten. Eine so einflußreiche Schicht herauszufordern, ließen die unsicheren Verhältnisse nicht zu.
Mahmud konnte nicht helfen. Er kam dazu, den Bettelderwisch zu beneiden oder den kleinen Schreiber, der sein Polster vor einem Amt niederlegte und sein Leben von Bittschriften fristete, die ihn nichts angingen. Und über solchen Gedanken kam ihm die Erinnerung an die kleinen Mittelchen, mit denen er die Wächter seiner früheren Prinzenjahre überlistet hatte. Es war eine Schuljungenexistenz gewesen, die er damals gelebt hatte, nicht gerade förderlich für einen erwachsenen Mann. Aber nun mußte er als Padischah, als Selbstherrscher und Kalif, seine Zuflucht zu dem nehmen, was er damals zu gebrauchen gelernt hatte.
Es war keineswegs etwas so Unerhörtes, daß ein osmanischer Kaiser sich unerkannt auf den Gassen herumtrieb. Der Eroberer war zeitweilig Nacht für Nacht Gast in den Winkelkneipen und Hurendielen Adrianopels gewesen. Andere hatten es mehr mit der Moral gehabt. Mahmud war in Verkleidung zum Drucker Ibrahim gegangen, dem allein er sich offenbart hatte. Er hatte gesehen, was zu sehen gewesen war, und dann hatte er das erste Werk, das die Presse verlassen hatte, gekauft. Diese beiden Foliobände unterm Arm, stand Mahmud da, um sie seiner Mutter zu zeigen, die er endlich zu sprechen hoffte.
Und statt seine Mutter zu finden, hörte er eine weibliche Stimme die Frage aufwerfen, ob ihr denn keiner sagen könne, wohin sie wolle. Das war eine Frage, die niemand beantworten konnte. Es handelte sich, zumal die Dame sich allein wähnte, offenbar um einen Notschrei an jedermann, möglicherweise sogar an Gott. Nun war Mahmud als Kalif zwar Gottes Schatten auf Erden, aber Gott war er nidit. Allah war ein monotheistischer, eifriger Gott, nicht dreierlei, sondern einerlei Gestalt. Er duldete keine Götter neben sich, nicht einmal sich selbst in Verdreifachung, und nach der Überzeugung ganz strenger Sunniten auch keine Heiligen, deren Verehrung bereits Lästerung sei. Mahmud war ganz strenger Sunnit. Doch damit vertrug es sich, daß er weibliche Notschreie in einem Hause der Glückseligkeit als etwas Ungewöhnliches, um nicht zu sagen Ungehöriges empfand. Seine allerhöchste Machtvollkommenheit war damit angerufen und auf diese Weise das Laster der Neugier in die Tugend einer Pflichterfüllung verwandelt worden. Er betrat also vollends den Raum.
Seine kundige Hand fand mühelos den unsichtbaren Schlitz im Schleier, durch den er das Frauenreich betrat, und stand nun vor dem Diwan, auf dem das Wesen des Anstoßes lag. Ohne ihm auch nur ein Anzeichen zu gönnen, daß es ihn bemerke, lag es da. Es starrte die Decke an und ließ die Tränen laufen, wie sie wollten.
Gegen weibliche Reize war Mahmud ziemlich abgehärtet. Nicht daß sein Onkel Ahmed ihm in seiner Prinzenzeit Frauen verweigert hätte! Aber da Mahmud gewußt hatte, daß niemals der Hofmeister erscheinen und ihm einen Sohn in die Arme legen würde, hatte er sich der Frauen enthalten.
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