Der ewige Krieg 01 - Der ewige Krieg
dann zur Entlassung. Einige wenige Auserwählte, vielleicht einer auf achttausend, werden aufgefordert, sich freiwillig zur Kampfausbildung zu melden. Die Ablehnung der Aufforderung gilt als ›soziopathisch‹, obgleich sie verständlich wäre, denn die Teilnahme an der Kampfausbildung ist gleichbedeutend mit einer Verlängerung der Dienstzeit um weitere fünf Jahre. Und die Chance des einzelnen, diese zehn Jahre Militärdienst zu überleben, ist so gering, daß sie statistisch nicht ins Gewicht fällt: Meines Wissens gab es niemanden, dem das gelungen war. Die beste Chance ist dabei noch die, daß der Krieg zu Ende geht, bevor man seine zehn (subjektiven) Dienstjahre abgeleistet hat. Daher hoffen alle, daß die Zeitdehnung viele Jahre zwischen jeden der Kampfeinsätze legt.
Weil man damit rechnen kann, daß man ungefähr einmal in jedem subjektiven Jahr ins Gefecht geschickt wird, und weil ein Gefecht von durchschnittlich vierunddreißig Prozent der Teilnehmer überlebt wird, ist es einfach, sich die Wahrscheinlichkeit des Überlebens auszurechnen. Sie kommt bei zehn Jahren Dienst in der kämpfenden Truppe auf ungefähr zwei Tausendstel von einem Prozent. Genausogut kann man sich einen altmodischen Trommelrevolver besorgen, vier der sechs Kammern laden und russisches Roulette spielen. Wenn Sie es zehnmal hintereinander schaffen, ohne die Wand neben Ihnen zu dekorieren, darf man Sie beglückwünschen. Dann sind Sie ein Zivilist.
Die zahlenmäßige Stärke der Kampftruppen betrug ungefähr sechzigtausend, also ließ sich erwarten, daß 1,2 von ihnen zehn Jahre Krieg überleben würden. Ich hatte nicht ernsthaft vor, der Glückliche zu sein, obwohl ich den Weg zum Ziel bereits zur Hälfte hinter mir hatte.
Wie viele von diesen jungen Soldaten, die jetzt im Gänsemarsch in den Saal kamen, wußten, daß sie zum Untergang verurteilt waren? Ich versuchte die Gesichter mit den Bildern in den Personalbogen zu vergleichen, die ich den ganzen Morgen durchgesehen hatte, aber es war schwierig. Sie waren alle durch dieselbe starre Mechanik strenger Auswahlkriterien gegangen und sahen einander bemerkenswert ähnlich: groß, aber nicht zu groß, muskulös, aber nicht massig, intelligent, aber nicht zur Nachdenklichkeit neigend … und die Erde war rassisch bei weitem homogener als sie es im Jahrhundert meiner Geburt gewesen war. Die meisten von ihnen sahen unbestimmt südländisch aus, mit schwarzen Haaren und bräunlichem Teint. Nur zwei, Kayibanda und Lin, schienen rassisch reine Typen zu sein. Ich fragte mich, ob die anderen ihnen das Leben schwer machten.
Die meisten Frauen waren hinreißend hübsch, aber ich war in keiner Position, um wählerisch zu sein. Seit mehr als einem Jahr, als ich Marygay Lebewohl gesagt hatte, lebte ich im Zölibat.
Ich überlegte, ob eines dieser anziehenden Geschöpfe eine Spur von Atavismus in sich haben mochte, oder ob sie trotz andersartiger Veranlagung geneigt sein würde, auf die exzentrischen Gelüste ihres Kommandeurs einzugehen. ›Einem Offizier ist jedes Eingehen sexueller Bindungen mit seinen Untergebenen strengstens untersagt.‹ Welch eine menschenfreundliche Form des Ausdrucks! ›Verstöße gegen diese Bestimmung werden mit Degradierung zum einfachen Soldaten und rückwirkender Beschlagnahme des Solds, oder, wenn die Beziehung die Kampfkraft der Truppe beeinträchtigt, mit summarischer Exekution beider Beteiligter bestraft.‹ Wenn alle Bestimmungen so zwanglos und selbstverständlich wie diese mißachtet worden wären, hätten wir eine sehr leichtlebige Armee gehabt.
Aber von den Jungen fand ich nicht einen einzigen anziehend. Wie ich nach einem Jahr denken würde, wußte ich freilich nicht zu sagen.
»Aaacht-unk!« Das war Leutnant Hilleboe. Ich verdankte es meinen neuen Reflexen, daß ich nicht sofort aufsprang. Alle anderen nahmen Haltung an.
»Mein Name ist Leutnant Hilleboe, und ich bin als Zugführer des ersten Zugs Ihr dritter Feldoffizier.« Das hatte es früher nicht gegeben. Kompaniechef war ein Hauptmann gewesen, kein Major, und wir hatten nicht nur einen Hauptmann als zweiten Feldoffizier, sondern mehr Leutnants, als man ehedem Unteroffiziere gehabt hatte. Ein unverkennbares Zeichen, daß eine Armee zu lange existiert hat, ist ihre Kopflastigkeit mit Offizieren.
Hilleboe zog wie ein richtiger abgebrühter Berufssoldat vom Leder. Wahrscheinlich brüllte sie jeden Morgen Befehle in den Spiegel, während sie sich rasierte. Aber ich hatte ihre Akte mit dem
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