Der Experte: Thriller (German Edition)
Geiger?
DALTON: Ja. Über Geiger.
SOAMES: Wir halten ihn für tot.
DALTON: Sie irren sich. Er ist nicht tot.
SOAMES: Wieso? Wissen Sie mehr?
DALTON: Er kann nicht tot sein.
SOAMES: Wieso nicht?
DALTON: Darum. Er ist unzerstörbar.
Zanni erinnerte sich, wie Dalton bei diesen Worten gelächelt hatte. »Er ist unzerstörbar.« Sie hatte den Satz nie vergessen.
Sie legte die Papiere auf den Boden. Wie geht ein Kind mit solch einem Leid, solch einer Misshandlung um? Wird man zu einem Alchimisten und wandelt sie zu etwas anderem? Sie nahm ein paar Rosinen im Schokoladenmantel aus dem Schälchen auf dem Rand der Badewanne und warf sie sich in den Mund. War es ein »Was dich nicht umbringt, macht dich stärker?«. War es das, was Geiger ausmachte – zur n-ten Potenz erhoben? Berührte ihn überhaupt noch etwas?
Sie ließ sich tiefer ins Wasser sinken, drehte sich, bis sie mit der Wange auf dem kühlen Porzellan ruhte, und schloss die Augen. Sie wollte die Lösung, aber sie war müde und wünschte, nicht alle Arbeit selbst machen zu müssen. Monate war es her, seit ein Mann sie berührt hatte, so lange, dass sie ihren kleinen Vorrat an Fantasie drei bis vier Mal durchgehen musste. Ihre Hand glitt ins Wasser und zwischen ihre Schenkel, während sie überlegte, ob Geiger mit oder ohne Bart sexyer war.
4
Geiger lehnte in einem Overall mit dem Rücken an der Wand des Sitzungsraums und betrommelte seine Oberschenkel mit langen Fingern, die an muntere kleine Tiere erinnerten, welche an seinen Beinen hochgeklettert waren und sich mit seinen Handgelenken verbunden hatten. Verborgene Lautsprecher gaben eine Audioschleife wieder – eine Rührtrommel und ein Becken, die in schmissigem Viervierteltakt geschlagen wurden. Bei zufälligen Beats kam die Rührtrommel eine Millisekunde zu früh oder zu spät, gerade ausreichend, um beim Zuhörer ein beunruhigendes mentales Zusammenzucken zu erzeugen.
Er hatte das Licht auf ein trübes Halbdunkel gedimmt, sodass der Jones auf dem Rasiersessel nur als verschwommener Umriss zu erkennen war, und, noch wichtiger, Geiger ebenfalls. Er hatte es mit einem äußerst scharfen Verstand zu tun, und Geiger wollte die Kanten der Dinge aufweichen.
»Seit wann bist du Mr. Reddings Finanzberater?«
»Seit acht Jahren. Aber das wissen Sie.« Die Stimme des Jones klang angstvoll quakend. Und er hatte recht – Geiger wusste es, weil sein Dossier sehr umfangreich war. Geiger wusste auch, dass der Mann an Gleichgewichtsstörungen und Sodbrennen litt, und hatte ihn etwas trinken lassen – mit Klub-Soda verdünnte Natronlauge, die mit Melasse versetzt war. Geiger wollte ihn in einen Zustand vertrauten, aber verstärkten Unbehagens versetzen, und hatte die Frage gestellt, weil er den Mann sprechen hören wollte, um das Ausmaß abzuschätzen, in dem die ätzende Mischung wirkte.
»Was passiert, wenn wir hier fertig sind?«, fragte der Jones.
»Sobald ich die Information abgerufen habe, kommst du wieder in den Kofferraum und wirst dem Klienten übergeben.«
»Und was dann?«
»Das ist nicht meine Angelegenheit. Es gehört nicht zum Auftrag.«
Dieses »Und was dann?« war es, was Geiger hatte hören wollen. Er war der Baumeister, und jede Reaktion lieferte Ziegel und Mörtel für das Haus der Angst, das er hochzog. Beim IR zählte alles, und ein »Und was dann?« hieß, dass der Jones über die Gegenwart hinausdachte, Ereignisse erwog, die noch bevorstanden – Möglichkeiten, die furchterregender waren als das Jetzt und von ihrer Natur her endgültiger. Für ein Haus der Angst war das ein nützlicher Baustein.
Der Jones hustete, was ein heftiges Zusammenzucken hervorrief. »Wenn sich der Kofferraumdeckel schließt, ist die Geschichte für Sie zu Ende? Aus den Augen, aus dem Sinn? Keine Schuldgefühle?«
Geigers Stimme war ein Seidenschal, der sich um seine Antwort wickelte. »Weshalb?«
Dieses Wort bewirkte, dass sich die Lippen des Jones elegant krümmten. An einem anderen Ort und zu anderer Zeit hätte es wie ein wehmütiges Lächeln erscheinen können, doch in diesem Moment wirkte es auf Geiger tieftraurig.
»Ich hatte viele Schuldgefühle – am Anfang«, sagte der Mann, »aber man kann sich an so gut wie alles gewöhnen, meinen Sie nicht auch?«
Geiger richtete seine Aufmerksamkeit auf den Tonfall. Langeweile? Reue? Erkenntnis? »Wie interessant, dass du es ansprichst, Charles – denn dieses Konzept ist von grundlegender Bedeutung für das, was in diesem Raum vor sich
Weitere Kostenlose Bücher