Der Experte: Thriller (German Edition)
Glas gepresst, starrte sie auf das Spiegelbild der Skyline von Manhattan an der Oberfläche des Flusses und sang von der Stadt, die sie unter dem Wasser sah. »Weit, weit unter dem Meer … wo ich hinwill …« Seine Seelenqual verfing sich an seiner Trauer und ließ ihn zusammenzucken. Er brauchte ein Pepcid – und ein paar Bourbons zum Runterspülen.
Er ging zur Haustür. Er zückte den Baseballschläger, als er sich dem Niedergang am Gehsteig näherte, wo die Mülltonnen standen, spähte dort in die Schatten und stieg die Treppe zur Haustür hoch. Er öffnete sie, warf einen letzten Blick auf die Straße und betrat den Hausflur. Er schloss die Innentür auf und ging zur Tür des Apartments im Erdgeschoss. Er legte das Ohr dagegen, hörte nichts und stieg die Treppe hinauf. Das alte Holz ächzte noch immer bei jeder Bewegung. Die Glühbirne im ersten Stock war ausgefallen, und jeder Schritt trug ihn tiefer in die Dunkelheit. Als er versuchte, den Schlüssel ins Schloss seiner Wohnungstür zu schieben, zitterte seine Hand so stark, dass er drei Versuche brauchte, um aufzusperren.
Als er hereinkam, schlug ihm aus dem Apartment ein muffiger Geruch entgegen. Er fächerte ihn weg, verschloss die Tür hinter sich, ging zu den Vorhängen und zog sie zu. Den Baseballschläger lehnte er an eine Wand, zückte eine kleine Taschenlampe und schaltete sie ein. Eine Galaxie aus Staubflocken tanzte in dem Lichtkegel eine träge Jig. Sein großer Drachenbaum war einen langsamen, einsamen Tod gestorben. Die verschrumpelten Blätter lagen im Topf und auf dem Boden. Harry senkte den Lichtstrahl und entdeckte, dass er auf einem großen rostbraunen Fleck im Teppich stand. Rays Blut.
Die Erinnerung an das letzte Mal, dass er hier stand, überfiel ihn: Hall in einem Sessel, den Blick auf die Pistole in Harrys Hand gerichtet … Lily am Boden, wo Ray sie hingeworfen hatte wie eine Flickenpuppe … Das widerliche, aufwühlende Gefühl brechender Knochen, als er Ray die Beretta in die höhnische Fratze knallte …
Er öffnete die mittlere Schreibtischschublade und hielt den Lichtstrahl hinein, nahm eine CD-Kassette mit der Aufschrift Video Verify heraus und schob sie sich in die Manteltasche.
Er hatte sich, ehe er hierherkam, etwas eingeschärft: rein und sofort wieder raus. Das war nicht mehr sein Home-Sweet-Home. Dieses Leben war vorbei.
Über die Speiseröhre gab sein Magen einen ätzenden Kommentar ab, und Harry klopfte sich die Taschen nach einer Tablette ab, dann folgte er dem Korridor zum Bad. Er löschte die Taschenlampe, schaltete das Licht ein und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Der grau melierte Bart überraschte ihn noch immer. Er öffnete das Schränkchen und grinste, als er das aufdringliche Quietschen der Scharniere hörte. Keine noch so große Menge WD-40 brachte es zum Schweigen. Auf einem Regal fand er ein paar Pepcid Completes. Das Verfallsdatum lag ein halbes Jahr zurück.
»Geht«, sagte er, schüttelte drei Tabletten aus dem Glas und warf sie sich in den Mund. Er schloss das Schränkchen und hörte, wie das Quietschen sich noch eine Sekunde fortsetzte, als wäre es ein verspätetes, schwaches Echo, das den Gesetzen der Physik trotzte. Dann begriff er, dass jemand auf der Treppe war.
Er schaltete das Licht aus und trat in den dunklen Korridor. Alles, was er hörte, war sein eigenes ängstliches Atmen. Er schaltete die Taschenlampe wieder ein, ging ins Wohnzimmer und hielt ein Ohr an die Tür. Vielleicht kam der alte Cellist, der über ihm wohnte, ungewöhnlich spät nach Hause … Er blickte zur Decke und wartete – hoffte auf ein Geräusch von oben –, doch er hörte keine Schritte. Sie hatten gesehen, wie er hineinging, und jetzt stand draußen einer oder sogar mehrere, fast mit Sicherheit beauftragt, ihn auszuradieren, und zweifellos der Aufgabe gewachsen.
Sie konnten nur durch die Tür hereinkommen. Dazu mussten sie entweder das Schloss öffnen oder sie mit der Schulter oder einem Fußtritt aufbrechen. Vielleicht ließen sie sich auch Zeit und schlugen erst zu, wenn er die Tür öffnete, um zu gehen. Vor seinem Schlafzimmer war eine Feuertreppe, aber er hatte das Fenster schon vor Jahren mit einem Stahlgitter gesichert, und Gott allein wusste, wo der Schlüssel war. Und dann dachte Harry an Geiger und sah alles klar. Es traf ihn frontal wie ein Schlag aufs Auge.
Geigers Gebot Numero eins in Arbeit und Leben hatte immer gelautet: Lass nie das Äußere das Innere ändern – bis er begriff,
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